Coronavirus

10 Gründe, warum Menschen auf der Flucht vom Coronavirus besonders stark bedroht sind

„Wir haben keine Seife. Alles, was ich habe, ist Wasser, um mich selbst und meine Puppe zu waschen“, sagt die 10-jährige Shazia.

Es ist keine leichte Aufgabe, die Richtlinien zur Infektionsprävention zu befolgen, wenn man in einem dicht besiedelten Gebiet lebt und weder Seife noch Wasser hat, um sich die Hände zu waschen.

Shazia gehört zu den vielen Tausend afghanischen Vertriebenen, die in der Hauptstadt Kabul Zuflucht gesucht haben. NRC Flüchtlingshilfe geht derzeit von Tür zu Tür, um die Menschen darüber zu informieren, wie sie sich schützen und die weitere Ausbreitung des Virus verhindern können.

„Wir sind zutiefst besorgt darüber, was mit den am meisten gefährdeten Menschen geschehen wird, wenn die Pandemie auf immer mehr Länder übergreift, in denen Flüchtlinge und Binnenvertriebene leben“ sagt Jan Egeland, Generalsekretär von NRC Flüchtlingshilfe.

Warum Vertriebene am stärksten gefährdet sind:

Photo: Leen Qashu/NRC

1. Mangel an medizinischer Versorgung und sauberem Wasser

Die 6-jährige Jana, oben abgebildet, wurde im Zaatari-Flüchtlingslager in Jordanien geboren und lebt dort zusammen mit fast 77.000 weiteren syrischen Geflüchteten. Im kriegszerrütteten Syrien leben über 6 Millionen Binnenvertriebene, während 5,5 Millionen weitere in armen Nachbarländern Zuflucht gesucht haben.

Über 70 Millionen weltweit sind vor Kriegen und Verfolgung auf der Flucht. Acht von zehn Menschen befinden sich in Ländern, die Probleme haben, medizinische Versorgung, sauberes Wasser und gute Hygiene- und Sanitärsysteme für ihre Bevölkerung bereitzustellen.

Über 100 der Länder mit bestätigten Fällen von Corona-Infektionen haben über 20.000 Flüchtlinge aufgenommen, so das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR).

Photo: Enayatullah Azad/NRC

2. Übervölkerte Flüchtlingslager mit hohem Infektionsrisiko

Shazia, 10, oben im Bild zu sehen, gehört zu den über 1,2 Millionen Binnenvertriebenen in ganz Afghanistan, die in Zelten und sogenannten inoffiziellen Siedlungen leben. Über die Hälfte davon sind Kinder unter 18 Jahren.

Millionen von Geflüchteten und Binnenflüchtlingen leben in übervölkerten Siedlungen ohne Zugang zu Wasser und medizinischer Versorgung. In diesen Siedlungen ist es schwierig, eine gute Handhygiene aufrechtzuerhalten, und unmöglich, Social Distancing umzusetzen.

Photo: Mukhtar Nuur/NRC

3. Kein Einkommen

„Wenn ich zu Hause bleibe, verhungert meine Familie, und wenn ich zur Arbeit gehe, sterbe ich an dem Virus“, sagt Ardoon Bille Korane Hirad. Er lebt mit seiner Familie in einem Lager für Binnenflüchtlinge in Puntland, Somalia.

Wenn Firmen und Märkte aus Angst vor Infektionen schließen und die Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird, sind Vertriebene davon unverhältnismäßig stark betroffen. Viele Länder haben Beschränkungen eingeführt, durch die es Flüchtlingen und Binnenvertriebenen nicht mehr erlaubt ist, die Lager oder andere Gebiete zu verlassen, um außerhalb Arbeit zu finden.

Photo: Samuel Jegede/NRC

4. Mangel an Informationen

Vielerorts, beispielsweise im Nordosten Nigerias, kann es schwierig sein, Geflüchtete und Binnenvertriebene mit Informationen darüber zu erreichen, wie sie sich schützen und einer Infektion vorbeugen können. Wenig oder gar kein Zugang zu Fernsehen, Radio oder Zeitungen sowie Sprachbarrieren und Misstrauen gegenüber staatlichen und lokalen Behörden tragen ebenfalls dazu bei.

Photo: Nasser Abdulkareem/NRC

5. Lebenswichtige Hilfe erreicht Menschen in Not nicht

„Wir haben Angst vor dem Coronavirus, aber wir haben auch Angst, unsere Lebensmittelhilfe zu verlieren, wenn das Virus sich im Jemen ausbreitet“, sagt Ehsan, oben abgebildet. Covid-19 verängstigt die Menschen im Jemen, die zum Überleben von humanitärer Hilfe abhängig sind.

Reisebeschränkungen und die Stilllegung wichtiger sozialer Funktionen bedeuten, dass lebenswichtige Hilfe die Menschen, die sie am dringendsten brauchen, nicht erreicht. Eine der unglücklichen Folgen ist, dass NRC Flüchtlingshilfe derzeit 300.000 Geflüchteten und Binnenvertriebenem im Nahen Osten keine Hilfe leisten kann.

6. Menschen werden zur Rückkehr gezwungen

Tausende venezolanische Geflüchtete und Migrierte sind in ihr Heimatland zurückgekehrt, nachdem Kolumbien strenge Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus eingeführt hat.

Viele Flüchtlinge sind aufgrund einer Kürzung der humanitären Hilfe, dem Mangel an Bewegungsfreiheit und der Schließung von Arbeitsplätzen und Märkten in den Gastgeberländern gezwungen, unter kritischen Bedingungen in ihr Heimatland zurückzukehren.

Kongolesische Flüchtlinge in Uganda stehen Schlange, um Nothilfe zu erhalten. Foto: Dwyer/NRC

7. Grenzen werden geschlossen und Asylanträge nicht angenommen

Anfang April haben 123 Länder ihre Grenzen komplett oder teilweise geschlossen, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Rund 30 Länder, einschließlich Uganda, wo 1,4 Millionen Flüchtlinge leben, haben ihre Grenzen vorübergehend für Geflüchtete und Asylsuchende geschlossen. Die geschlossenen Grenzen können Flüchtlinge und Asylsuchende dazu veranlassen, neue und gefährlichere Reiserouten auf sich zu nehmen.

8. Aufnahme von Geflüchteten wird verschoben

Gleichzeitig haben Reisebeschränkungen, die Angst vor der Ausbreitung des Virus und die derzeitige Gesundheitskrise in verschiedenen Ländern die Fähigkeit einzelner Länder eingeschränkt, Umsiedlungsflüchtlinge aufzunehmen. Daher haben die Internationale Organisation für Migration (IOM) und UNHCR auch alle Umsiedlungen von Flüchtlingen in Drittländer vorübergehend ausgesetzt.

Über 300 syrische Geflüchtete leben in dieser inoffiziellen Siedlung in der Bekaa-Ebene im Libanon. Foto: Racha El Daoi/NRC

9. Risiko von Diskriminierung

Im Libanon ist NRC Flüchtlingshilfe besorgt, dass das Coronavirus dazu führen könnte, dass die ohnehin schon gefährdeten syrischen Geflüchteten Opfer von Diskriminierung und Belästigung werden.

Geflüchtete und Binnenvertriebene sind einem hohen Risiko von Diskriminierung, Ausgrenzung, Stigmatisierung, Fremdenfeindlichkeit und Argwohn ausgesetzt. Die Stigmatisierung bestimmter Gruppen kann zur Folge haben, dass Menschen ihre Symptome verbergen und keine medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Das kann die Verbreitung des Virus begünstigen und noch mehr Menschenleben gefährden.

Kankonde, 18, will Maurer werden. Foto: Ephrem Chiruza/NRC

10. Kinder und Jugendliche sind besonders betroffen

Da die Pandemie zur Schließung von Schulen geführt hat, sind Kinder und Jugendliche besonders stark betroffen. Kankonde, 18, möchte Maurer werden. Er besucht eine von NRC Flüchtlingshilfe geführte Berufsschule in Kananga in der Demokratischen Republik Kongo. Aus Angst vor der Ausbreitung des Virus wurde die Schule geschlossen und Kankonde und die anderen 200 Schülerinnen und Schüler können ihre Ausbildung derzeit nicht fortsetzen.

Für vertriebene Kinder ist die Schule ein Ort, der ihnen Schutz bietet, wo sie erlittene Traumata verarbeiten und ein wenig Normalität erleben können. Ihr Familienleben ist oft geprägt von Stress, beengten Wohnverhältnissen und Eltern, die nicht in der Lage sind, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu erfüllen.

Die Schule trägt auch dazu bei, Kinderarbeit und die Rekrutierung von Kindern durch diverse bewaffnete Gruppen zu verhindern.