Lailah Rabei Al-Raboui, one-year-old, playing in the yard of Al-Fajr Al-Jadeed School where her family has been living since 2015 after the war forced them to flee their houses in Taiz city.

Photo: Nasser Abdulkareem/NRC
Jemen

Wofür sollte eine Schule genutzt werden?

„Sie verdienen ein anständiges Leben, genau wie wir, aber wir möchten nicht, dass ihre Anwesenheit den Bildungsprozess beeinträchtigt“, sagt Geschichtslehrer Salah. Aus Mangel an Alternativen sind viele jemenitische Familien, die zur Flucht gezwungen waren, derzeit in Schulen untergebracht. Dieser Umstand beeinträchtigt die Ausbildung Tausender Kinder, die nun dicht gedrängt in den wenigen verbleibenden Klassenräumen lernen müssen.

Seit 2015 ist die Al-Fajr Al-Jadeed-Schule das Zuhause von 51 vertriebenen Familien. Diese Familien waren zur Flucht gezwungen, als ihre Heimat zum Konfliktgebiet wurde. Die Schule bietet einen sicheren Zufluchtsort für die Familien. Aufgrund der negativen Auswirkungen auf die Bildung versuchen die Behörden jedoch zunehmend, die Menschen wieder auszuquartieren – ohne jedoch eine sichere Alternative anbieten zu können.

Der Vater

Al-Raboui Adbu Saeed ist Mitte 50 und Vater von elf Kindern. Er stammt aus einer Gegend der Stadt Taiz, wo Hunderte Familien in inoffiziellen Siedlungen leben. Die Familien zählen zu einer ethnischen Minderheit namens Muhamasheen. Die Gruppe leidet seit Langem unter Diskriminierung, Armut und Ausgrenzung.

Al-Raboui war stolz auf sein altes Leben. Er war als Fahrer für eine Reinigungsfirma tätig und verdiente genug, um seine Familie mit allem Nötigen versorgen zu können. Er betrachtete sein Zuhause als sein Schloss. All das änderte sich schlagartig, als der Konflikt auf Taiz übergriff.

„Als die Kämpfe hier bei uns begannen, flohen wir sofort, weil jegliches Zögern Opfer unter der Zivilbevölkerung bedeutet hätte. Kämpfe machen keinen Unterschied zwischen Zivilisten und Kämpfern“, sagt Al-Raboui.

Al-Raboui Adbu Saeed is in his 50s and is a father of eleven children. He is from an area of Taiz city where hundreds of families live in informal settlements. The families are part of a minority ethnic group called Muhamasheen. The group has long suffered from caste-discrimination, poverty and exclusion.
 
Al-Raboui was proud of the life he had. He worked as a driver for a cleaning company and his salary was enough to cover all basic commodities. His home was his castle. But this all changed when the conflict arrived in Taiz.
 
“When battles arrived in the area we immediately fled because delaying may have led to casualties among civilians. Battles don’t differentiate between civilians and fighters,” Al-Raboui says.

Al-Raboui’s family, and others in his community, found refuge at the school, 70 km from home. The school had been transformed into a camp for displaced people, and Al-Raboui says that they were welcomed at the school by both residents and the local authorities. 

But now, the overcrowding in the few classrooms still available is causing disputes between those residing there and the teachers and parents who want their children to continue learning. 

In response to the impact on education, the local authorities provided the displaced families with alternative land. However, it wasn’t safe for them.

“We took ten tents and went to erect them in the new land,” Al-Raboui recalls. “But the owner of the land came and stopped us.”

Al-Raboui contacted the sheikh of the area, as well as the local authorities. They agreed to meet next day to resolve the dispute with the owner. But this was unsuccessful, and the families returned to the school later that night.
 
“The residents and the local authorities demand that we leave the school because they need it. We agree, but we can’t return to our houses and we don’t know any safe place to go.”

“All we need is to live peacefully,” Al-Raboui concludes. Al-Raboui says. “It is impossible to return our houses in at present. We are willing to leave the school but we need a safe place for us and our children."

Text and photo: Nasser Abdulkareem/NRC
Al-Raboui und seine Familie leben derzeit zusammen mit 51 weiteren Familien aus Mangel an sicheren Alternativen in einer Schule. Foto: Nasser Abdulkareem/NRC

Al-Rabouis Familie und andere Mitglieder seiner Gemeinde fanden in einer 70 Kilometer entfernten Schule Zuflucht. Die Schule war in ein Lager für Vertriebene umfunktioniert worden. Al-Raboui sagt, dass sie dort sowohl von den Ortsansässigen als auch von den Behörden vor Ort freundlich empfangen wurden.

Nun verursacht die Überbelegung der wenigen verbleibenden Klassenräume jedoch Auseinandersetzungen zwischen den Vertriebenen, die dort leben, und den Lehrkräften und Eltern, die möchten, dass die Kinder weiter zur Schule gehen können.

Displaced children stand in the yard of Al-Noaman School in Taiz, which was changed into shelter for displaced families.

Photo: Nasser Abdulkareem/NRC
Die vertriebenen Familien passen sich trotz der ungewissen Situation gut an ihr neues Leben an. Foto: Nasser Abdulkareem/NRC

Der Lehrer

Salah Alwan Al-Asbahi unterrichtet in der Schule Geschichte. Er bestätigt, dass die Vertriebenen für die Wiederaufnahme des normalen Unterrichts in der Schule das Haupthindernis sind.

„Wir brauchen einen Kompromiss, der eine alternative Unterkunft für die vertriebenen Familien bietet“, sagt Salah. „Das ist nötig, damit wir den Bildungsprozess auf angemessene Weise fortsetzen können.“

„Die vertriebenen Familien sind für uns Brüder und sie verdienen ein anständiges Leben, genau wie wir, aber wir möchten nicht, dass ihre Anwesenheit den Bildungsprozess beeinträchtigt“, fügt er hinzu.

Derzeit werden über 1.200 Schülerinnen und Schüler in nur 11 Klassenräumen im Schulgebäude unterrichtet. Viele andere sind weggegangen, um weiter entfernte Schulen zu besuchen.

Salah Alwan Al-Asbahi is a history teacher at the school. He confirmed that the residents are the main barrier to resuming the regular educational process in the school. 

“We need a compromise that finds an alternative place for the displaced families,” Salah says. “We need this for the educational process to continue in a good way.”

“The displaced families are brothers to us, and they deserve decent life like us, but we don’t want their presence to affect the educational process,” he adds.

There are more than 1,200 students learning in just 11 classrooms in the available school building. Many others have left to attend schools further away.
 
Salah wants the educational process to continue. He believes that the only way forward is for the authorities to provide a safe alternative for the families living at the school where he works. 

Photo: Nasser Abdulkareem/NRC
Salah möchte, dass der Bildungsprozess fortgesetzt wird. Er glaubt, die einzige Möglichkeit ist, dass die Behörden eine sichere Alternative für die vertriebenen Familien bereitstellen, die derzeit in seiner Schule untergebracht sind. Foto: Nasser Abdulkareem/NRC

Keine sicheren Alternativen

Um auf dieses Problem zu reagieren, stellten die lokalen Behörden den vertriebenen Familien alternatives Land zur Verfügung. Hier war es jedoch nicht sicher für sie.

„Wir nahmen zehn Zelte und stellten sie auf dem neuen Land auf“, erinnert sich Al-Raboui. „Dann kam der Landbesitzer und hielt uns auf.“

Al-Raboui wandte sich an den Leiter des Gebiets sowie an die Behörden. Es wurde ein Treffen für den nächsten Tag verabredet, um den Konflikt mit dem Besitzer zu klären. Das Treffen verlief jedoch ohne Erfolg und am Abend kehrten die Familien in die Schule zurück.

„Die Ortsansässigen und die lokalen Behörden verlangen, dass wir die Schule verlassen, weil sie sie brauchen. Das verstehen wir natürlich, aber wir können nicht in unsere Häuser zurück und wir wissen keinen anderen Ort, an dem wir sicher wären.“

 

Since 2015, Al-Fajr Al-Jadeed School has been home to 51 displaced families. These families were forced to flee when their homes became a conflict zone. The school provides a safe refuge for the families, but due to the impact on education, authorities are increasingly attempting to evict them – without providing a safe alternative. 

Photo: Nasser Abdulkareem/NRC
Einige der jüngsten Bewohnerinnen und Bewohner der Schule spielen auf dem Dach. Foto: Nasser Abdulkareem/NRC

Eine ungewisse Zukunft

Die vertriebenen Familien können nicht in ihre Häuser in Taiz zurück, weil dort nach wie vor Kämpfe ausgetragen werden, und sie haben sich gut an ihr neues Leben als Vertriebene angepasst. Es ergeben sich jedoch immer wieder neue Herausforderungen.

Der Vater und der Lehrer sind sich einig, dass Vertreibung Kinder nicht davon abhalten sollte, die Schule zu besuchen, aber dass auch jeder einen sicheren Platz zum Leben verdient.

„Es ist derzeit unmöglich, in unsere Häuser zurückzukehren. Wir sind bereit, die Schule zu verlassen, aber wir brauchen für uns und unsere Kinder einen sicheren Ort“, sagt Al-Raboui.

Der Konflikt im Jemen geht jetzt ins sechste Jahr. Es wird geschätzt, dass 3,6 Millionen Jemenitinnen und Jemeniten aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Schon zu Beginn des Konflikts war der Jemen das ärmste Land im Nahen Osten und sehr viele Zivilistinnen und Zivilisten haben nicht die Mittel, eine alternative Unterkunft zu finden oder in ein anderes Land zu reisen, um dort Zuflucht zu suchen. Es ist dringend notwendig, dass der Konflikt ein Ende findet, damit die Vertriebenen in ihre Heimat zurückkehren und die Kinder wieder in Frieden lernen können.

„Alles was wir wollen, ist in Frieden leben“, sagt Al-Raboui abschließend.