Seit acht Jahren tobt der Syrien-Konflikt. Über 200.000 Kinder syrischer Geflüchteter wurden Schätzungen zufolge im benachbarten Libanon geboren. Viele Eltern haben große Schwierigkeiten, die Geburt ihrer Kinder anzumelden. Foto: Nadine Malli/NRC

Eine zweite Chance für Kinder ohne Papiere

Nadine Malli|Veröffentlicht 20. Sep 2019
Seit acht Jahren tobt der Syrien-Konflikt. Über 200.000 Kinder syrischer Geflüchteter wurden Schätzungen zufolge im benachbarten Libanon geboren. Viele dieser Kinder sind nicht ordnungsgemäß gemeldet, was ihren Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und humanitärer Hilfe beeinträchtigen könnte, sollten sie in Zukunft nach Syrien zurückkehren.

Salah, 40, ist einer von Tausenden syrischen Geflüchteten, die ihre Kinder nach der Geburt nicht ordnungsgemäß anmelden konnten. „Ich habe meine beiden Erstgeborenen in Syrien angemeldet, bevor wir in den Libanon flohen, aber die, die hier geboren wurden, konnte ich wegen des komplizierten Verfahrens nicht anmelden“, erklärt er.

Vier von fünf Kindern sind nicht angemeldet

Laut dem UN-Bericht von 2018 über die Gefährdung syrischer Geflüchteter haben 79 Prozent der im Libanon geborenen syrischen Kinder das aufwändige Registrierungsverfahren nicht abgeschlossen, das für die Rechtsgültigkeit ihrer Geburtsurkunde erforderlich ist.

Kinder ohne Geburtsurkunde könnten möglicherweise Probleme bekommen, staatliche Leistungen wie Bildung, medizinische Versorgung, Rechtsberatung oder humanitäre Hilfe zu erhalten, wenn sie nach Syrien zurückkehren. Wenn ihre Geburt nicht ordnungsgemäß registriert ist, könnte es sogar sein, dass sie den Libanon nicht auf legalem Weg verlassen können.

Foto: Nadine Malli/NRC

Im Libanon müssen Eltern ihre Kinder innerhalb eines Jahres nach der Geburt in einem vierstufigen Verfahren bei mehreren Regierungsbehörden anmelden. Wenn sie es nicht schaffen, diesen Prozess abzuschließen, müssen sie in langwieriges und kostspieliges Gerichtsverfahren durchlaufen, um die Verwandtschaft mit dem Kind nachzuweisen, damit sie mit der Registrierung fortfahren können. NRC unterstützt syrische Geflüchtete zwar bei diesem Verfahren, jedoch können es nur diejenigen mit einer Aufenthaltsberechtigung durchlaufen.

Kampf mit ausländischer Bürokratie

Salah bekam für sein Neugeborenes eine Geburtsanzeige von der Klinik und eine Geburtsurkunde vom Mukhtar, einem gewählten Beamten, der als eine Art Standesbeamter fungiert. Das waren jedoch nur die ersten Schritte des mehrstufigen Verfahrens, das nötig ist, damit die Geburtsurkunde rechtlich gültig ist.

Der gesamte Prozess und was dafür erforderlich ist, ist für die Geflüchteten häufig recht undurchsichtig. Viele empfinden es als schwierig und einschüchternd, sich in einer fremden Bürokratie zurechtzufinden.

„Ich dachte, die Unterschrift des Mukhtars stamme vom Standesamt [Nofous], aber über ein Jahr später, als ich über das UN-Flüchtlingshilfswerk unsere Umsiedlung beantragte, erfuhr ich, dass auf den Geburtsurkunden die Unterschriften vom Nofous fehlten. Die Registrierung hätte vor dem ersten Geburtstag der Kinder durchgeführt werden müssen“, erklärt Salah.

„Ich hatte eine Menge Schwierigkeiten dabei, meine zwei jüngsten Kinder, die im Libanon geboren wurden, anzumelden, weil das Verfahren so kompliziert ist“, sagt Salah, 40, ein syrischer Geflüchteter im Libanon. Foto: Nadine Malli/NRC

Änderung der Richtlinien gibt Geflüchteten eine zweite Chance

Im März 2018 kündigte die libanesische Regierung an, dass sie die einjährige Frist für die Registrierung von im Libanon geborenen syrischen Kindern zwischen Januar 2011 und Februar 2018 rückwirkend erlasse.

NRC hatte sich mehrere Jahre lang für diese Änderung eingesetzt und unsere Rechtshilfeteams machten sich schnell daran, den Rückstand von Zehntausenden Geflüchteten schnell aufzuarbeiten, die ihre Kinder nicht hatten anmelden können.

Mithilfe der Finanzierung durch das Ministerium des Vereinigten Königreichs für internationale Entwicklung (DFID) konnte unser Team Salah bei der abschließenden Registrierung seiner Kinder unter die Arme greifen.

„Das Krankenhaus gab mir für unsere Tochter Sahar eine Geburtsanzeige und der Mukhtar gab mir ihre Geburtsurkunde, allerdings mit dem falschen Geburtsort“, erklärt Bakri, 31. „Ich wusste nicht, dass ich das Dokument vor ihrem ersten Geburtstag bei der nächsten Nofous-Stelle hätte unterzeichnen lassen müssen.“ NRC half Bakri dabei, eine korrigierte Geburtsurkunde zu bekommen und den Registrierungsprozess abzuschließen. Foto: Nadine Malli/NRC

Bakri, 31, ist ein weiterer Vater, der die Geburt seiner Tochter nicht anmelden konnte. „Das Krankenhaus stellte für unsere Tochter Sahar eine Geburtsanzeige aus. Vom Mukhtar erhielt ich ihre Geburtsurkunde, allerdings mit dem falschen Geburtsort“, erklärt Bakri. „Ich wusste nicht, dass ich das Dokument vor ihrem ersten Geburtstag bei der nächsten Nofous-Stelle hätte unterzeichnen lassen müssen.“

Bakri wandte sich an NRC, zu diesem Zeitpunkt war seine Tochter jedoch bereits über ein Jahr alt. Wir halfen Bakri dabei, eine neue Geburtsurkunde mit dem korrekten Geburtsort zu bekommen, und dank der Änderung der Richtlinien konnte die Registrierung ohne Gerichtsverfahren abgeschlossen werden.

„Ich war wirklich erleichtert, als ich von der neuen Verfahrensweise erfuhr, durch die die Anmeldung meiner Tochter so viel einfacher wurde. Wir haben viel Zeit und Geld gespart“, sagt Bakri.

Mangel an Informationen ist die größte Hürde

Nach jüngsten Forschungen durch NRC geben 49 Prozent der Geflüchteten an, dass die größte Hürde bei der Anmeldung ihrer Neugeborenen der Mangel an Informationen ist, während 13 Prozent finanzielle Gründe nennen.

Durch unser Rechtsberatungsprogramm versorgen wir Familien wie die Salahs und Bakris mit wichtigen Informationen und unterstützen sie dabei, sich im System zurechtzufinden.

Nach jüngsten Forschungen durch NRC geben 49 Prozent der Geflüchteten an, dass die größte Hürde bei der Anmeldung ihrer Neugeborenen der Mangel an Informationen ist, während 13 Prozent finanzielle Gründe nennen. Durch unser Rechtsberatungsprogramm versorgen wir Familien wie die Salahs und Bakris mit wichtigen Informationen und unterstützen sie dabei, sich im System zurechtzufinden. Foto: Nadine Malli/NRC

„Wir haben über 3.000 Familien mit Kindern über einem Jahr angesprochen und über die Änderung der Richtlinien informiert. Manche Geflüchtete hatten es allein geschafft, den gesamten Registrierungsprozess abzuschließen, andere kamen auf uns zu und baten um Hilfe“, erklärt Maha, eine unserer Mitarbeiterinnen im Nordlibanon.

Fristbefreiung muss erweitert werden

Die Fristbefreiung gilt indes nur für Kinder, die vor dem 8. Februar 2018 geboren wurden. Für alle danach Geborenen gilt nach wie vor die einjährige Frist, wodurch die Anzahl der nicht angemeldeten Kinder letztendlich weiter steigen wird.

NRC glaubt, dass Änderungen wie der Erlass der einjährigen Frist für die Geburtsanmeldung einen positiven Einfluss auf das Leben der Geflüchteten haben wird. Wir setzen uns dafür ein, dass die neue Regelung ausgeweitet wird und auch die nach Inkrafttreten der Änderung geborenen Kinder eingeschlossen werden.