Mahmoud Ahmad Hwaidy, 37, stammt aus Deir el Zour, der größten Stadt im Osten Syriens. Derzeit lebt er mit seiner Frau Hannan und seinen fünf Kindern in Beirut.
Die Familie hat eine Wohnung gemietet. Obwohl sie so weit weg von ihrer Heimat in Syrien sind, haben sie aus dem, was sie hatten, das Beste gemacht. Um die Wohnung heimeliger zu gestalten, haben sie die Einrichtung mit ihren eigenen Sofas und Teppichen ergänzt. Der Balkon ist ihr Lieblingsplatz, an dem sie entspannen, reden und gemeinsame Zeit als Familie genießen können.
Am 4. August 2020 änderte sich alles. Die Explosion im Hafen von Beirut fegte durch die Wohnung und zerstörte alles, was der Familie lieb und teuer war. Das, wovor sie aus Syrien geflohen waren, war plötzlich wieder ganz nah.
Flucht vor den Raketenangriffen
Als Hannan und Mahmoud heirateten, kauften sie das Haus neben Hannans Elternhaus und wohnten dort vier glückliche Jahre lang.
Der Krieg erschwerte es Mahmoud, genug zu verdienen, um seine Familie zu ernähren. Er zog deshalb in den Libanon, um dort eine Beschäftigung zu finden. Hannan blieb mit den Kindern in Syrien. „Ich hatte mein ganzes Leben dort verbracht. Es fiel mir zu schwer, dort wegzugehen“, sagt sie.
Als der aktive Konflikt jedoch ihre Stadt erreichte, wusste Hannan, dass es Zeit war zu gehen. Eines Nachts, vor drei Jahren, machte sich die junge Mutter auf den Weg – ihre dreijährige Tochter auf dem Arm, die neugeborenen Zwillinge auf dem Rücken und ihre älteste Tochter an der Hand – und verließ ihr Heimatland, um im Libanon Schutz zu suchen.
Ihr Elternhaus und das Haus der Familie standen Seite an Seite. Zwei Tage später wurden beide Häuser durch einen Raketenangriff zerstört.
Ein weiteres Zuhause zerstört
Mahmoud war bei einem Freund zu Hause, als sich die Explosion in Beirut ereignete. Er wurde durch die Druckwelle zu Boden geworfen. Als er wieder zu sich kam, rannte er nach Hause, um nach seiner Familie zu sehen. Sein Heimweg war mit Trümmern übersät.
Als er zu Hause ankam, fand er Hannan und die Kinder mit Glasscherben bedeckt auf dem Boden liegen. „Die Fenster und Türen waren nach innen geschleudert worden und hatten sie getroffen“, erinnert er sich.
„Sie waren alle verletzt, meine Frau am schlimmsten. In diesem Moment dachte ich, ich würde lieber sterben, als meine Kinder in diesem Zustand zu sehen. Ich fing an zu weinen, als ich sie in all dem Glas und Blut liegen sah.“
Hannan glaubt, dass ihre Erfahrungen aus dem Krieg in Syrien ihr an diesem Tag das Leben gerettet haben. Kurz bevor die Druckwelle der Explosion im nahe gelegenen Hafen ihre Wohnung erreichte, hörte Hannan ein lautes Geräusch, das sie an die Flugzeuge erinnerte, die in Syrien ihre Stadt angegriffen hatten.
Ohne zu überlegen holte sie die Kinder, die auf dem Balkon spielten, und rannte mit ihnen in die Wohnung. Mit ihrem Körper schirmte sie die Kinder gegen die Druckwelle ab, die sie nur Sekunden später traf.
„Wir hörten die Geräusche von Flugzeugen, die uns an Syrien erinnerten. Da wussten wir, dass wir so schnell wie möglich ins Haus mussten. Das rettete uns das Leben.“
Das Zuhause, in dem die Familie Zuflucht gesucht hatte, war nun eine Ruine. Der Balkon, wo die Familie so viel Zeit verbracht hatte, drohte einzustürzen.
„Es fühlte sich nach der Explosion nicht mehr wie ein Zuhause an, da die Fenster und der Kühlschrank zerstört waren. Wir verloren den größten Teil unserer Möbel. Die Wohnung war nun so gut wie leer, kaum wiederzuerkennen, und nichts war mehr wie zuvor“, erzählt Hannan wehmütig.
Durch die Lage im zweiten Stock eines Eckhauses in einem dicht besiedelten Viertel war in der zerstörten Wohnung an Privatsphäre nicht mehr zu denken. „Ich konnte mich nicht umziehen oder mein Kopftuch abnehmen“, berichtet Hannan.
Die Kinder hatten Angst
Für ihre ältesten Kinder, die in ihren jungen Jahren in Syrien schon so viel Traumatisches erlebt hatten, hatte die Explosion auch psychische Folgen.
„Wir sahen Menschen um ihr Leben rennen. Meine Kinder weinten – es war drei Jahre her, seit sie so etwas mit ansehen mussten. Und nun war alles wieder da“, sagt Hannan.
Es war schwer für Hannan, ihre Kinder so leiden zu sehen. „Als ich meine Kinder so sah, war ich sehr wütend und wollte am liebsten laut schreien“, sagt sie. „Ich blieb die ganze Nacht auf und bewachte sie – aus Angst, dass ihnen etwas zustoßen könnte.“
„Meiner fünfjährigen Tochter macht die Explosion immer noch sehr zu schaffen. Sie ist immer traurig und bedrückt, bei jedem Geräusch hat sie Angst.“
“Unser Zuhause wandelt sich zum Besseren“
NRC Flüchtlingshilfe leitete nach der Explosion sofort Nothilfemaßnahmen ein. Innerhalb von zwei Monaten konnten wir die zerstörte Wohnung der Familie wieder instand setzen. Wir reparierten den von der Familie so sehr geliebten Balkon und setzten neue Fenster und Türen ein.
„Nun fühlen wir uns sicherer und haben wieder mehr Privatsphäre“, sagt Hannan. „Wir sind viel entspannter.“
Sie bemerkt auch die positive Wirkung, die die Reparaturen auf die Kinder haben. „Die Kinder machen ständig die Türen auf und zu, weil es für sie etwas Neues ist! Sie sagen, die Wohnung sei jetzt sehr schön.“
„Mein Gemütszustand hat sich auch verändert. Ich hatte geträumt, dass die Fenster repariert würden, und glücklicherweise ist das auch passiert. Unser Zuhause wandelt sich zum Besseren.“