Vergessene Krisen

Drei Gründe zur Hoffnung

Bei all dem Leid und der Diskriminierung auf der Welt ist es leicht, die Hoffnung zu verlieren. Aber wenn man über die Schlagzeilen hinaus blickt, gibt es vielerorts durchaus Fortschritte. Hier sind drei Beispiele.

Jedes Jahr veröffentlicht NRC Flüchtlingshilfe eine Liste der zehn Flüchtlingskrisen, die am wenigsten Aufmerksamkeit erhalten haben. Obwohl humanitäre Hilfe nur nach dem Bedarf und nach nichts anderem bemessen werden sollte, erhalten manche Krisen sehr viel mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung als andere.

Manche Krisen tauchen seit mehreren Jahren immer wieder auf der Liste auf. Der anhaltende Konflikt in der Demokratischen Republik Kongo etwa ist dafür verantwortlich, dass das Land seit fünf Jahren weit oben auf der Liste steht.

Es gibt jedoch auch positive Veränderungen, und diese sollten gefeiert werden. Bedeutende Verbesserungen können eine Krise innerhalb eines einzigen Jahres von der Liste verschwinden lassen. Solche Entwicklungen erwecken die Hoffnung auf eine Zukunft, in der niemandes Leid ignoriert wird.

Frieden und Versöhnung in Äthiopien

 Gewalt und Konflikte zwischen den Gemeinden führten dazu, dass Äthiopien 2018 das Land mit der höchsten Zahl Neuvertriebener innerhalb des Landes war. Vertriebene leben häufig unter menschenunwürdigen Bedingungen und sind infolge von Konflikten und Dürren mit Nahrungsmangel konfrontiert. Trotz ihres Leids wurden nur 56 Prozent der für die humanitäre Hilfe benötigten Mittel bereitgestellt und viele Menschen bekommen keine oder nur wenig Unterstützung.

Äthiopien stand daher im Vorjahr auf Platz 9 der Liste der vergessenen Krisen.

2019 zog das Land jedoch das Interesse der internationalen Medien auf sich, als dem äthiopischen Premierminister Dr. Abiy Ahmed für seine Bemühungen um Frieden, Versöhnung und Demokratie der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde. Im selben Jahr sank die Anzahl der Vertriebenen um 450.000.

Als Jan Egeland, Generalsekretär von NRC Flüchtlingshilfe, das Land im Juni 2019 besuchte, sagte er, er sei „erstaunt von den wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften des Landes, einschließlich seiner Bereitschaft, klaglos Flüchtlinge aus kriegszerrissenen Ländern wie dem Südsudan und Somalia aufzunehmen.“

Diesen umfangreichen Errungenschaften ist es zu verdanken, dass die Krise nicht nur auf der diesjährigen Liste der zehn vergessenen Krisen fehlt, sondern sogar bis auf Platz 24 gefallen ist.

Oumou and Awaou sit with their mother Roukaya in the compound of their house in Berberati.
Roukaya, 37, mit ihren zwei Töchtern. Im Jahr 2014 floh die Familie vor den Unruhen in der Zentralafrikanischen Republik in ein Flüchtlingslager in Kamerun. Im Jahr 2019 kehrte die Familie in die Zentralafrikanische Republik zurück und leben nun glücklich in dem Zuhause, das sie fünf Jahre zuvor verlassen hatten. Foto: Itunu Kuku/NRC

Mehr Aufmerksamkeit für die vergessene Krise in der Zentralafrikanischen Republik

Die Krise in der Zentralafrikanischen Republik ist gemessen am betroffenen Bevölkerungsanteil die schwerste der Welt. Ein Viertel der Landesbevölkerung wurde vertrieben. Die extrem empfindliche Sicherheitslage gepaart mit der mangelnden Aufmerksamkeit durch Medien und Politik tragen der Zentralafrikanischen Republik Jahr für Jahr einen der vorderen Plätze auf der Liste ein. Im vergangenen Jahr besetzte das Land Platz 3.

Im Jahr 2019 fiel die Unterstützung für die humanitäre Hilfe jedoch höher aus und es fanden zudem kleine, aber bedeutende Fortschritte bezüglich der politischen Situation statt. Diese Veränderungen haben dafür gesorgt, dass das Land von Platz 3 auf Platz 9 gerutscht ist. Seit Januar 2019 sind 52.000 Menschen in ihre Heimatregionen zurückgekehrt oder aus dem Ausland in die Zentralafrikanische Republik zurückgekommen. Roukaya, oben abgebildet, ist eine von vielen Zentralafrikanerinnen und Zentralafrikanern, die sich nach mehreren Jahren Aufenthalt im benachbarten Kamerun zur Rückkehr entschlossen haben. Mit dem festen Vorsatz, ihr Leben wieder aufzubauen, ist sie in ihre Heimatstadt Berberati zurückgekehrt, in der wieder Ruhe und Stabilität eingekehrt sind.

Wenn es auch wichtig ist, den Fortschritt zu feiern, der in Gebieten wie Berberati erzielt wurde, sollten wir dennoch festhalten, dass es in anderen Teilen des Landes in der ersten Jahreshälfte 2020 zu einer bedauerlichen Zunahme gewalttätiger Angriffe kam. Der Fortschritt in Gebieten wie Berberati sollte uns ermutigen, uns weiterhin mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass in allen Teilen des Landes wieder Frieden einkehrt.

Der Übergang des Sudan zur Demokratie

Der Sudan litt über 30 Jahren lang unter einer repressiven Regierung. Konflikte und Wirtschaftskrisen haben dazu geführt, dass Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind und fast 2 Millionen ihre Heimat verlassen mussten. Darüber hinaus hat der Sudan über eine Million Flüchtlinge aus Nachbarländern aufgenommen. Dennoch erreichte das Land auf der Liste der vergessenen Krisen im vergangenen Jahr Platz 11.

Im Jahr 2019 führte eine von den Bürgerinnen und Bürgern angeführte Revolution eine Übergangsregierung ein, die ihre Bereitschaft zeigt, das sudanesische Volk an erste Stelle zu setzen. Das Land hat damit den Weg in Richtung Frieden und Wahrung der Menschenrechte eingeschlagen. NRC Flüchtlingshilfe war eine von 13 Hilfsorganisationen, die 2009 vom Regime des früheren Präsidenten Bashir aus dem Sudan vertrieben wurden. Mit der neuen Regierung, die internationale Hilfe begrüßt, kann NRC Flüchtlingshilfe wieder im Land arbeiten.

Durch diese positiven Veränderungen nach jahrzehntelanger Diktatur ist der Sudan auf der Liste auf Platz 17 gefallen.

Trotz dieser bedeutenden Entwicklungen wurde die humanitäre Hilfe für 2020 bisher erst zu 24 Prozent finanziert. Und aufgrund der anhaltenden Wirtschaftskrise ist die verhältnismäßig stabile Lage nach wie vor fragil. Es ist essenziell, dass die humanitäre Hilfe mehr finanzielle Unterstützung erhält, um den Menschen in Not in dieser für das Land so entscheidenden Zeit zu helfen.

Was können wir aus diesen Fortschritten lernen?

Das Leid der Millionen Menschen weltweit zu lindern, scheint ein aussichtsloses Unterfangen zu sein, insbesondere für gewöhnliche Menschen ohne Plattform und umfangreiche Ressourcen.

Die Krisen, von denen die Menschen in Äthiopien, der Zentralafrikanischen Republik, im Sudan und anderen Ländern rund um den Globus betroffen sind, dauern an. Millionen Menschen hungern, haben kein Zuhause, sind arbeitslos und jeden Tag mit Diskriminierung und Gewalt konfrontiert.

Das bedeutete jedoch nicht, dass es keine Hoffnung gibt.

Michelle Delaney, Medienberaterin bei NRC Flüchtlingshilfe, war in diesem Jahr an der Liste der vergessenen Krisen beteiligt. Sie sagt:

„Humanitäre Hilfe sollte sich allein am Bedarf orientieren, nicht daran, politische Punkte oder Stimmen zu gewinnen. Diese positiven Entwicklungen zeigen, wie wichtig es ist, Vertriebenen eine Stimme zu geben. Das ist es, was uns hier bei NRC Flüchtlingshilfe antreibt, und wir sind entschlossen, weitere Verbesserungen für die Menschen zu sehen, die wir auch in diesem Jahr weiter unterstützen.“

Wenn wir uns auf solche Verbesserungen konzentrieren, können wir einen Weg in eine Welt beschreiten, in der das Leid der Menschen nicht länger ignoriert wird. Eine Welt, in der Handeln etwas bewirken kann.

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