Coronavirus

Als der Pandemie-Alarm losging

Im März fand sich die Welt plötzlich in einer Krise wieder. Der Flugverkehr wurde lahmgelegt, Grenzen wurden geschlossen. Wie sollte NRC Flüchtlingshilfe weiterhin Hilfe leisten? „Wir wurden da einfach hineingeworfen“, sagt Marit Glad, Direktorin für Programmentwicklung und -unterstützung bei NRC Flüchtlingshilfe, aus ihrem winzigen Homeoffice.

Mehrere Personen haben historische Vergleiche zu den Jahren 1918-1920 gezogen, als die sogenannte „Spanische Grippe“ mehr Menschen tötete, als der verheerende Weltkrieg, der gerade erst zu Ende gegangen war.

NRC Flüchtlingshilfe erkannte den Ernst der Lage. In der Hauptverwaltung in Oslo fragte man sich: „Wie können wir unsere Arbeit fortsetzen und den Millionen Menschen weiterhin Hilfe leisten? Wie können wir lebenswichtige Hilfe wie Unterkünfte, Flüchtlingslager-Management, Lebensmittel, sauberes Wasser, Rechtsberatung und Bildung für vertriebene Kinder und Erwachsene bereitstellen?“

Für Marit Glad, 40, und ihr Team war das keine leichte Aufgabe.

Wir bleiben vor Ort

“Ich glaube nicht, dass ich jemals so viel gearbeitet habe”, sagt sie durch meinen Computerbildschirm. Hinter ihr sehe ich Kleider hängen – die Direktorin für Programmentwicklung und -unterstützung hat sich ihr Pandemie-Homeoffice in ihrem begehbaren Kleiderschrank eingerichtet.

In diesem winzigen Raum hat sie Zoom-Meetings mit Kolleginnen und Kollegen rund um den Globus abgehalten. Vor allem aber hielt sie Kontakt mit ihrem Team bestehend aus 30-40 internationalen technischen Fachkräften.

„Auf zwei Dinge, die wir erreicht haben, bin ich besonders stolz“, erklärt sie.

„Das Erste ist, dass NRC Flüchtlingshilfe trotz der Pandemie ununterbrochen dort vor Ort war und immer noch ist, wo Menschen Hilfe brauchen. Ende März zogen mehrere humanitäre Hilfsorganisationen ihre internationalen Teams aus vielen Ländern ab. Uns dagegen ist es weitgehend gelungen, unsere Management-Teams vor Ort zu halten und unsere Mitarbeitenden haben fantastische Arbeit geleistet und tun es immer noch.

„Wir haben das geschafft, weil wir viel Erfahrung darin haben, Menschen Hilfe zu leisten, die in schwer erreichbaren Gebieten leben.“

NRC vehicle got stuck in the mud under heavy rain in South Kivu province, DR Congo

Photo: Pacifique Mulungula/NRC
Eins der Fahrzeuge von NRC Flüchtlingshilfe blieb infolge heftiger Regenfälle im Schlamm stecken. Provinz Süd-Kivu, Demokratische Republik Kongo. Foto: Pacitique Mulungula/NRC Flüchtlingshilfe

Die Mitarbeitenden von NRC Flüchtlingshilfe seien daran gewöhnt, Probleme zu lösen, Zugang zu schwer erreichbaren Gebieten zu bekommen und mit Menschen zu kommunizieren, selbst wenn sie nicht persönlich anwesend sein können, sagt Marit.

„In meinem Team, das oft über sieben Länder verteilt ist, gehören Videokonferenzen – über Zoom und Skype – seit Jahren zu unserem Arbeitsalltag. Das war nichts Neues für uns.

Das Zweite, auf das ich stolz bin, ist, dass wir in alldem unsere Rolle als Organisation gefunden haben. NRC Flüchtlingshilfe ist nicht unmittelbar mit Gesundheitsfragen befasst, daher mussten wir herausfinden, auf welchem Weg wir am besten helfen können“, fügt sie hinzu.

Möchten Sie Menschen auf der Flucht unterstützen? Hier können Sie spenden.

Zu Beginn ihrer Karriere studierte und arbeitete Marit in Italien. Unter anderem war sie für das Norwegische Institut für Außenpolitik, North Atlantic, die NATO und das Norwegische Atlantikkomitee tätig. Foto: Ingebjørg Kårstad/NRC Flüchtlingshilfe

Chronik einer Pandemie

Als im Dezember 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan die ersten Menschen erkrankten, hielten die Ärzte es zunächst für Lungenentzündungen. Anfang 2020 gaben die chinesischen Behörden jedoch bekannt, dass sie ein neuartiges Coronavirus entdeckt hatten.

Bis Ende Januar infizierten sich Menschen in den USA, Italien, Iran und Nordkorea. Bis zum 7. März hatten sich weltweit über 100.000 Menschen angesteckt. Am 11. März erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Krankheit zur Pandemie.

Quelle: The Great Norwegian Encyclopedia
The indigenous communities named Amaparradó and Cañaveral were affected by combats between armed groups. These communities are located in the middle of the forest in north of Colombia (Antioquia department), three days by walk from the nearest village. 

Indigenous haunt, fish and grow plantain in the mountains for a living, but since the combats in august, they are confined and cannot go out to obtain food either access to basic services such as health.

To deliver 10 tons of aid for more than 180 families to this hard to reach areas, NRC supports the transport delivery by helicopter.

The aid was given by the Colombian government (Victims Unit) and the air delivery was possible through the emergency consortium funded by the European Union and implemented by NRC, CID, Diakonie and Tierra de Paz.

Photo: Marcela Olarte/NRC
Angehörige der indigenen Bevölkerung in sehr schwer zugänglichen Gebieten in Kolumbien erhalten Unterstützung unter anderen von NRC Flüchtlingshilfe. Lebensmittel und andere wichtige Versorgungsgüter müssen per Hubschrauber dorthin transportiert werden. Foto: Marcela Olarte/ NRC Flüchtlingshilfe

Arbeiten in Konfliktgebieten

NRC Flüchtlingshilfe ist eine große Organisation mit insgesamt 15.000 humanitären Hilfskräften in 33 Ländern in Afrika, Amerika, Asien, im Nahen Osten und Europa. Obwohl sich unser Hauptsitz in Oslo befindet, arbeiten wir in Norwegen nicht mit Flüchtlingen.

Lesen Sie hier mehr über NRC Flüchtlingshilfe.

NRC Flüchtlingshilfe konzentriert sich in erster Linie auf Kriegs- und Konfliktgebiete – Orte, an denen es sehr schwierig ist, Hilfe zu leisten.

„Wir konzentrieren uns deshalb auf diese Regionen, weil das außer uns nur wenige andere Organisationen tun“, sagt Marit.

Hand washing kit on site Medina coura, Sévare
Photo credit: Vinabé MOUNKORO/NRC
Menschen in Sévare, Mali, erhalten Wasser und damit bessere Chancen, sich vor Covid-19 zu schützen. Foto: Vinabé Mounkoro/NRC Flüchtlingshilfe

Unterstützung für den Gesundheitssektor

In den Krisensitzungen sei man sich einig gewesen, dass die Teams von NRC Flüchtlingshilfe weiterhin das tun sollten, worin sie gut seien – anstatt plötzlich Gesundheitsversorger zu werden, sagt Marit.

„Denn sonst hätten wir am Ende mehr Schaden angerichtet als genutzt. Es gibt andere Organisationen, die sehr viel effizienter sind als wir, wenn es darum geht, Krankenhäuser zu betreiben und medizinische Hilfe anzubieten“, erklärt sie.

Mohammed Abdu Al-Faqeeh,70, is an old man in Taiz' Al-Mawaset district. He is the breadwinner of his family. He is  one of the beneficiaries of the cash transfers for food and livelihood. NRC is targeting 2689 households in the district under the support of UKaid with YR45,000 per month for nine months.

Photo: Khalid Al-Banna/NRC
Mohammed Abdu Al-Faqeeh, 70, lebt in Taiz, im kriegszerrütteten Jemen. Er ist für die Ernährung seiner Familie verantwortlich, was in einem Land, in dem die meisten Menschen hungern, jedoch nicht leicht ist. Hier erhält er finanzielle Unterstützung von UK Aid und NRC Flüchtlingshilfe, sodass er kaufen kann, was die Familie braucht. Foto: Khalid Al-Banna/ NRC Flüchtlingshilfe

Aber vielleicht könnten wir den Gesundheitssektor unterstützen?

„Wir haben zum Beispiel immer schon Schulen und Häuser gebaut, um Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben. Wir kamen zu dem Schluss, dass wir unsere Bau-Teams einsetzen könnten, um Quarantänezentren und Krankenhäuser zu bauen. Kurz gesagt, wir könnten medizinische Einrichtungen ausbauen. Und das wollten wir in Zusammenarbeit mit Partnern tun, die sich mit Gesundheitsfragen beschäftigen.“

Wie können wir dazu beitragen, die Ausbreitung des Virus zu verhindern?

Marit und ihr Team berieten viel darüber, was sie tun könnten, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern.

„Wir wissen, dass viele Vertriebene auf engstem Raum zusammenleben, sei es in Flüchtlingslagern oder in Slumgebieten“, sagt sie. „Zu Beginn der Pandemie machten wir uns Sorgen, dass das Virus sich in diesen dicht besiedelten Gebieten explosionsartig ausbreiten würde. Daher dachten wir über mögliche Lösungen nach.“

„Wir hätten die zuständigen Behörden um mehr Land bitten können, damit die Menschen in den Lagern mehr Platz hätten. Aber wir wussten, dass dies nicht überall möglich gewesen wäre, also mussten wir andere Lösungen finden, um Social Distancing und Quarantäne zu ermöglichen.“

Stellen Sie sich vor, Sie leben zusammen mit zwölf Menschen in einem Zelt. Sie haben vielleicht eine Großmutter, die besonders schwach ist, oder einen Onkel, der an Covid-19 erkrankt ist.

„Was kann man tun, wenn man auf so engem Raum zusammenleben muss? Wir wissen, dass Seife, Wasser und Handhygiene nicht ausreichen. Man muss auch Abstand halten. Vielleicht könnten wir den Menschen helfen, indem wir in den Zelten Absperrungen errichten. Über solche Dinge haben wir anfangs viel nachgedacht“, fährt sie fort.

Die Wirtschaftskrise trifft die Menschen hart

Die Coronavirus-Pandemie ist nicht nur eine medizinische Krise. Auf der ganzen Welt mussten Unternehmen ihre Tore schließen und Menschen verloren ihre Arbeitsplätze. Ende August führte NRC Flüchtlingshilfe eine Studie durch, um herauszufinden, auf welche Weise Vertriebene finanziell betroffen sind.

"NRC’s Shelter team finalizing the rehabilitation process of an elementary school in Barzeh.
Schools are rehabilitated with new colours and designs that are more encouraging and child friendly"

Photo: Tareq Mnadili/NRC
Die Experten von NRC Flüchtlingshilfe bei der Sanierung einer Grundschule in Barzeh in Syrien, nördlich von Damaskus. Die Schulen werden in frischen Farben gestrichen, die die Kinder motivieren sollen. Foto: Tareq Mnadili/NRC Flüchtlingshilfe

„Was wir herausfanden, war alarmierend“, sagt Marit. „Nicht weniger als 75 Prozent derjenigen, mit denen wir sprachen, gaben an, seit März ihren Arbeitsplatz verloren zu haben oder weniger zu verdienen. Infolgedessen hatten viele Schwierigkeiten, ihre Miete zu bezahlen und waren gezwungen, ihre Ausgaben für Medikamente zu kürzen.“

NRC Flüchtlingshilfe habe viele Menschen finanziell unter die Arme gegriffen, sodass sie ein paar weitere Monate über die Runden kamen, sagt Marit. Das sei jedoch keine nachhaltige Lösung. NRC Flüchtlingshilfe ist auch in der Lage, Menschen zu helfen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen, Unternehmen zu gründen oder einen neuen Beruf zu erlernen.

„Das können wir jedoch nicht alles allein schaffen. Die internationale Gemeinschaft muss dazu beitragen, in den Ländern, in denen viele Geflüchtete oder Binnenvertriebene leben, die Wirtschaft anzukurbeln.

Es ist unglaublich wichtig, Vertriebene bei Rettungspaketen und allen Maßnahmen zur Eindämmung der negativen Auswirkungen der Pandemie zu berücksichtigen. Tut man das nicht, bleiben diese Menschen auf der Strecke.“

Möchten Sie Menschen auf der Flucht unterstützen? Hier können Sie spenden.

Schule während einer Pandemie

Schule und Bildung gehören zu den Schwerpunkten unserer Arbeit. Genau wie in Europa wurden auch in den meisten Ländern, in denen NRC Flüchtlingshilfe im Einsatz ist, die Schulen geschlossen, als die Pandemie begann.

Lesen Sie hier mehr über unsere Arbeit im Bereich Bildung.

„Einige Länder beginnen vorsichtig, ihre Schulen wieder zu öffnen, aber viele sind nach wie vor geschlossen. Unsere Bildungsteams haben jedoch gewaltige Anstrengungen unternommen, um den Kindern Alternativen anbieten zu können.

Wie auch hier in Europa haben wir versucht, digitale Lösungen zu finden. Homeschooling und digitaler Unterricht sind jedoch natürlich nicht ideal, weder hier bei uns noch dort. Daher hoffen wir, dass die Schulen bald wieder geöffnet werden können“, sagt sie.

Marit fährt fort:

„Wir leiten die Wiedereröffnung in die Wege und versuchen, alles vorzubereiten, indem wir die Einrichtungen aufrüsten, um beispielsweise besseren Zugang zu Seife und Wasser sicherzustellen. Das Problem ist, dass viele Schulen ohnehin schon überbelegt waren und der Unterricht bereits zuvor in mehreren Schichten stattfand. Daher ist es schwierig, Lösungen zu finden, bei denen Abstand gehalten werden kann. Aber ich habe keinen Zweifel, dass unseren Kolleginnen und Kollegen vor Ort etwas einfallen wird.“

Amid the movement restrictions and spread of Covid-19, ICLA  team at NRC office in Aden is providing remote counseling/ legal advice over the phone to prevent potential spread of Covid-19.

Photo: Fares Fuad/NRC
Die Pandemie hält NRC Flüchtlingshilfe nicht davon ab, Menschen zu helfen – auch wenn ein hohes Infektionsrisiko manchmal bedeutet, dass wir nicht reisen können. Hier in Aden, Jemen, leisten unsere Fachleute Rechtsberatung per Telefon. Foto: Fares Fuad/NRC Flüchtlingshilfe

Von früheren Gesundheitskrisen, bei denen Schulen geschlossen wurden, wie zum Beispiel der Ebola-Krise, wissen wir, dass leider viele Kinder nicht zur Schule zurückkommen, wenn sie wieder öffnet. Das sei ein Punkt, der NRC Flüchtlingshilfe Sorge bereite, sagt Marit. Sie rechnet damit, dass wir besondere Maßnahmen entwickeln müssen, um die Kinder wieder in die Schulen zu bringen, wenn sie wieder öffnen.

„Die Pandemie droht den Bildungssektor in vielen Ländern, in denen wir arbeiten, um viele Jahre zurückzuwerfen“, sagt sie. „In den letzten Jahren haben wir einen positiven Trend gesehen – mehr Kinder also zuvor haben eine Schulbildung erhalten. Der Fortschritt, den wir so hart erarbeitet haben, könnte nun zunichtegemacht werden. Das ist ein sehr trauriger Gedanke.“

Ein königliches Meeting

Sind Marit und ihr Team jemals in Panik geraten? Oder hat sie das Gefühl, die Lage jederzeit im Griff gehabt zu haben?

„Nein, in Panik geraten sind wir nicht. Aber wir dachten immer: ‚Was, wenn wir nicht so weiterarbeiten können wie bisher? Was geschieht mit all den Menschen, die auf unsere Unterstützung angewiesen sind?’ Leider hat die Pandemie all die Kriege und Konflikte nicht beendet, die Menschen brauchen also nach wie vor Hilfe. Es gibt viel zu tun.“

Eines Tages erhielt Marit eine Einladung zu einem digitalen Meeting mit dem Schirmherrn von NRC Flüchtlingshilfe, Seiner Königlichen Hoheit Kronprinz Haakon von Norwegen. Er wollte einen Einblick, wie sich die Pandemie auf verschiedene norwegische Unternehmen und Organisationen auswirkt.

Also schaltete Marit einen virtuellen Hintergrund ein. Und traf sich mit ihm in ihrem Kleiderschrank.

“Abgesehen davon, dass ich nun zu Hause sitze und arbeite, sieht mein Arbeitsalltag im Großen und Ganzen genauso aus wie vorher. Auch vor Covid-19 hatte ich schon immer viele Zoom-Meetings“, sagt Marit. Foto: Ingebjørg Kårstad/NRC Flüchtlingshilfe