Afghanistan

Ein schwarzer Tag in Zalas Leben

Diese Geschichte wurde von einer engagierten Lehrerin in einem abgelegenen Dorf in Afghanistan geschrieben, die anonym bleiben möchte. Es ist ein eindringliches Zeugnis der großen Not, der junge Mädchen in ganz Afghanistan ausgesetzt sind. Sie zeigt die immense Verantwortung, die wir alle tragen, eine Welt zu schaffen, in der jedes Kind die Möglichkeit hat, seine Träume zu verwirklichen und in Frieden zu leben.

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In unserem Dorf ging über einer Gruppe von acht motivierten Schüler*innen langsam die Sonne auf. Es war acht Uhr an einem wunderschönen Morgen. Die Kinder waren auf dem Weg in ihr Klassenzimmer im Bildungszentrum von NRC Flüchtlingshilfe. Sie lachten und freuten sich auf die Schule.

Als ihre Lehrerin erwartete ich ihre Ankunft voller positiver Energie und Vorfreude auf den bevorstehenden Tag.

Als die Kinder eins nach dem anderen den Klassenraum betraten, lag ein Gefühl von Harmonie und Respekt in der Luft. Jedes Kind begrüßte mich mit den Worten „Asalaamu-alikum-warahamatullah”, eine traditionelle islamische Begrüßung, und bat um Erlaubnis, eintreten zu dürfen. Mit einem warmen Lächeln hieß ich sie willkommen und bat sie, sich auf ihre Plätze zu setzen.

Inmitten des munteren Geplauders fiel mir auf, dass eine meiner besten und fröhlichsten Schülerinnen, die elfjährige Zala, an diesem Tag zu spät kam.

Als ich einen Blick auf ihre tränenüberströmtes Gesicht erhaschte, war mir klar, dass etwas nicht stimmte. Ich war besorgt, ging langsam auf sie zu und fragte sie nach dem Grund für ihre Verspätung.

Zala blieb einen Moment lang stumm, während ihre Gefühle sie überwältigten. Schweren Herzens fand sie schließlich die Kraft, die zutiefst erschütternde Wahrheit auszusprechen – ihr Vater hatte sie verkauft.

Schockiert und bestürzt über ihre Offenbarung bat ich sie inständig, mir mehr zu erzählen. Ich wollte verstehen, was geschehen war.

Mit Tränen in den Augen berichtete Zala von der bitteren Armut ihrer Familie und dass das Geld kaum für das Nötigste reichte. Ihre Mutter war schwer krank und brauchte dringend medizinische Versorgung, was die Lage noch weiter verschärfte. Der Vater hatte die Gemeinde um Unterstützung gebeten, aber keine erhalten. Die Familie war verzweifelt und schutzlos.

Jemand hatte die schwierige Lage von Zalas Familie erkannt und nutzte sie zu seinem Vorteil, indem er eine arrangierte Ehe vorschlug. Angesichts des zunehmenden Drucks und der dringend notwendigen finanziellen Hilfe stimmte ihr Vater widerstrebend zu.

„Die Armut lässt mich die Kindheit meiner kleinen Tochter vergessen und ich habe bereits meine Zustimmung angedeutet. Meine Kreditgeber wollen ihr Geld zurück“, sagte ihr Vater.

Zala blickte ihrer Mutter in die Augen und sah Tränen des Schmerzes. Zögerlich gab die Mutter ihre Zustimmung, in der Hoffnung, dass diese Ehe ihrer Tochter Stabilität und eine bessere Zukunft ermöglichen möge.

Am nächsten Morgen stand Zala mit ihrem Rucksack vor ihrem Haus, als ein kleiner Konvoi von Fahrzeugen auftauchte, in denen über zehn Menschen saßen. Verängstigt und überrascht stellte Zalas Vater sie aus der Ferne stolz als ihre zukünftige Schwiegertochter vor. Überwältigt und gebrochenen Herzens ging Zala zum Unterricht, mit der Last der tragischen Umstände auf ihren Schultern.

Als ihre Lehrerin hatte ich das Glück, Zalas Entwicklung und ihr Potenzial über die Jahre mitzuverfolgen. Unsere Verbindung ging über den Klassenraum hinaus. Wir wussten um unsere Probleme und unterstützten uns gegenseitig.

Als ich diese herzzerreißende Geschichte gehört hatte, brachen meine Gefühle aus mir heraus. Überwältigt von Kummer verließ ich das Klassenzimmer und suchte Trost in den Armen meiner Mutter. Während ich ihr die tragische Geschichte erzählte, ließ ich meinen Tränen freien Lauf.

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Diese Situation ist in Afghanistan nicht ungewöhnlich. Die zunehmende Armut zwingt Eltern dazu, unmögliche Entscheidungen zu treffen, um das Überleben der Familie zu sichern.

„Die Menschen in Afghanistan brauchen langfristige, nachhaltige Lösungen, um diese humanitäre Krise zu beenden“, sagt Neil Turner, Landesdirektor der NRC Flüchtlingshilfe in Afghanistan. „NRC Flüchtlingshilfe fordert die afghanischen Behörden auf, ihre Verpflichtungen der gesamten Bevölkerung gegenüber einzuhalten, und damit auch ungehinderten und grundsätzlichen humanitären Zugang und Bildung für Frauen und Mädchen zu ermöglichen.“

Die Menschen in Afghanistan verdienen mehr, und wir können mehr tun.

Unterstützen Sie unsere Arbeit in Afghanistan und dem Rest der Welt.