Israelische Luftangriffe, darunter auch auf die Hauptstadt Beirut, haben in den letzten Monaten wiederholt libanesische Dörfer getroffen und stellen somit einen klaren Verstoß gegen das Abkommen dar.
„Im gesamten Libanon leben Familien in ständiger Angst vor Luftangriffen in der Nähe ihres Zuhauses, der Schule ihrer Kinder oder auf ihrem Weg zur Arbeit. Seit rund einem Jahr dauern die Luftangriffe und Bombardierungen trotz des Waffenstillstandsabkommens an. So sieht kein Waffenstillstand aus“, sagt Maureen Philippon, Landesdirektorin des NRC im Libanon.
Trotz des Ende 2024 in Kraft getretenen Abkommens hat sich die Sicherheitslage im Libanon in den folgenden Monaten weiter verschlechtert. Die Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon (UNIFIL) dokumentierte mehr als 7.500 Verstöße Israels gegen den libanesischen Luftraum und fast 2.500 Bodenverletzungen. Laut dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen stellt dies eine „völlige Missachtung des Waffenstillstandsabkommens“ dar. UNICEF Libanon berichtete, dass seit dem Waffenstillstand mehr als 13 Kinder getötet und 146 verletzt wurden. Die Vereinten Nationen dokumentierten außerdem vier Vorfälle, bei denen bewaffnete Gruppen im Libanon während des Waffenstillstands Geschosse auf Israel abgefeuert hatten, wobei es zu keinen Opfern kam.
„Neben den physischen Auswirkungen sind auch die psychologischen Narben tief und langfristig. Die Menschen im gesamten Libanon leben in ständiger Angst, dass es jeden Tag zu einer Rückkehr zum umfassenden Konflikt kommen könnte. Ein Jahr später verdienen libanesische Familien mehr als einen fragilen Waffenstillstand, der nur auf dem Papier besteht. Sie verdienen Sicherheit und eine echte Chance, ihr Leben wieder aufzubauen“, so Philippon.
Mehr als 64.000 Menschen sind nach wie vor vertrieben und können aufgrund der weitreichenden Zerstörungen oder Sicherheitsrisiken nicht in ihre Heimat zurückkehren. In einer Schule in einem Grenzdorf haben sich für dieses Schuljahr trotz der Bemühungen der Schulleiterin nur 56 Schüler*innen eingeschrieben, verglichen mit etwa 200 vor dem Konflikt. Die Klassenzimmer sind daher nur zur Hälfte gefüllt, denn viele Schüler*innen und Lehrer*innen sind noch immer vertrieben.
Israelische Angriffe haben Häuser, Schulen und öffentliche Infrastruktur zerstört. Auch Wiederaufbaumaßnahmen wurden angegriffen, darunter Baumaschinen, was auf eine gezielte Bemühung hindeutet, den Wiederaufbau zu behindern und die Erholung des Landes weiter zu untergraben.
NRC fordert alle Konfliktparteien auf, die wichtigsten Grundsätze des humanitären Völkerrechts zu achten: den Schutz der Zivilbevölkerung und der zivilen Infrastruktur, die Grundsätze der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit sowie das Verbot unnötigen Leidens. NRC fordert zudem alle Akteure, die Einfluss auf die Konfliktparteien haben, nachdrücklich dazu auf, sich hinter diese grundlegenden Regeln zur Führung von Feindseligkeiten zu stellen.
Ohne diese Bemühungen wird eine nachhaltige Erholung unerreichbar bleiben.
„Die Menschen im Libanon verdienen Frieden, nicht ein weiteres Jahr der Angst”, sagt Philippon.
Hinweise für die Redaktionen:
- Am 27. November 2024 trat ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hisbollah in Kraft.
- UNIFIL hat mehr als 7.500 Verstöße Israels gegen den libanesischen Luftraum sowie fast 2.500 Bodenverletzungen dokumentiert (UNIFIL).
- Die Vereinten Nationen haben vier Vorfälle dokumentiert, bei denen bewaffnete Gruppen im Libanon während des Waffenstillstands Geschosse auf Israel abfeuerten. Dabei kam es zu keinen Opfern (OHCHR).
- Die libanesischen Behörden berichten, dass seit Beginn des Waffenstillstands 331 Menschen getötet und 945 verletzt wurden (Lebanese Ministry of Public Health).
- UNICEF Libanon berichtet, dass seit dem Waffenstillstand mehr als 13 Kinder getötet und 146 verletzt wurden (UNICEF).
- 417 Menschen sind weiterhin Binnenflüchtlinge, vor allem aus Bint Jbeil, Marjayoun und Tyros (IOM, 3 October 2025).
- Auch Wiederaufbaumaßnahmen waren Ziel von Angriffen, darunter Angriffe auf Baumaschinen. Bei einem der verheerendsten Angriffe wurden rund 300 Maschinen zerstört, was die laufenden Reparatur- und Wiederaufbauarbeiten erheblich behindert (OLJ).
- Trotz des Waffenstillstandsabkommens sind israelische Truppen an fünf Standorten im Libanon verblieben.
- UNIFIL berichtet, dass eine neu errichtete israelische Mauer über die Blaue Linie hinausragt und 4.000 Quadratmeter libanesisches Land abschneidet (UNIFIL).
Für weitere Informationen oder um ein Interview zu vereinbaren, wenden Sie sich bitte an:
- Zoe-Marie Lodzik, Communication Adviser, NRC Deutschland: zoemarie.lodzik@nrc-hilft.de, +49 151 578 60663
- NRC Norwegian Refugee Council weltweite Medien-Hotline: media@nrc.no, +47 905 62 329
