„Während es in Gaza endlich Hoffnung gibt, wird das Westjordanland absichtlich und brutal zergliedert“, sagt Egeland. „Die gleiche Gewalt und Straffreiheit, die wir in Gaza erlebt haben, enteignet im Westjordanland ganze Gemeinschaften. Der Wiederaufbau in einem Teil des Gebiets darf nicht auf Kosten der Zerstörung in einem anderen erfolgen.“
Während die Aufmerksamkeit auf Gaza gerichtet war, haben sich die Gewalt und die Einschränkungen im Westjordanland weiter verschärft. Seit Januar wurden mindestens 199 Palästinenser*innen von israelischen Streitkräften oder Siedler*innen getötet und mehr als 3.200 verletzt. Durch Militäroperationen in den Flüchtlingslagern Jenin, Nur Shams und Tulkarm wurden über 30.000 Menschen vertrieben. Humanitären Organisationen ist es dennoch weiterhin untersagt, das gesamte Ausmaß der Zerstörung zu begutachten.
„Humanitäre Hilfskräfte können nicht einmal Teile der Lager in Jenin und Tulkarm erreichen, um sich ein Bild von der Zerstörung zu machen, und Bewohner*innen dürfen nicht zurückkehren“, sagt Egeland. „Durch Einschränkungen und Einschüchterungen wird die Wahrheit über die Geschehnisse verschleiert.“
Außerhalb der Geflüchtetenlager verändern Abrisse und der Ausbau von Siedlungen das Landschaftsbild grundlegend. Allein in diesem Jahr wurden fast 1.400 palästinensische Infrastrukturen zerstört – darunter Wohnhäuser, Schulen, landwirtschaftliche Gebäude und Wasserversorgung – im Durchschnitt fast fünf pro Tag. Dadurch wurden mindestens 1.770 Menschen vertrieben, und Zehntausende weitere sind massiv betroffen. Pläne für Tausende neuer Siedlungseinheiten, darunter im Gebiet E1 in der Nähe von Ostjerusalem, drohen, das Westjordanland in zwei Teile zu zerschneiden und die Aussicht auf einen zukünftigen, lebensfähigen palästinensischen Staat unmöglich zu machen.
„Ich habe miterlebt, wie die Gewalt israelischer Siedler*innen, unterstützt von den Behörden – einschließlich israelischer Kabinettsminister*innen – schutzbedürftige palästinensische Gemeinschaften aus ihren Häusern vertreibt“, so Egeland.
In den ersten neun Monaten dieses Jahres dokumentierten die Vereinten Nationen durchschnittlich mehr als vier gewaltsame Angriffe von Siedler*innen pro Tag, durch die 1.276 Palästinenser*innen vertrieben wurden.
„Es war herzzerreißend, Familien zu treffen, die durch unerbittliche Gewalt von Siedler*innen aus ihren Häusern vertrieben wurden. Ihre Leben wurden zutiefst erschüttert, ihre Lebensgrundlagen zerstört. Ganze Gemeinschaften werden ausgelöscht“, sagt Egeland. „Vielen der Familien, mit denen ich gesprochen habe, wird ihr Land gestohlen – Land, auf dem sie seit Generationen leben. Einige Gemeinden haben ihren Wasseranschluss verloren, weil Siedler*innen die Versorgung umgeleitet haben. Wie können solche Handlungen völlig straffrei stattfinden?“
Auch humanitäre Organisationen sehen sich zunehmend Einschränkungen gegenüber. So führte Israel im März 2025 neue Registrierungsvorschriften für internationale Organisationen ein, die deren Tätigkeit im gesamten besetzten Gebiet verhindern könnten.
„Die neuen Registrierungsvorschriften Israels für internationale Organisationen treffen den Kern der internationalen humanitären Hilfe“, sagt Egeland. „Wenn sie durchgesetzt werden, werden sie unsere lebensrettende Arbeit zum Stillstand bringen. Geber dürfen nicht schweigen, wenn der Zugang zu humanitärer Hilfe zu einem politischen Instrument gemacht wird. Es gibt systematische Bemühungen, Rechenschaftspflicht zu unterdrücken. Dem muss mit muss mit einer koordinierten internationalen Reaktion begegnet werden.“
Die im September von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete New Yorker Erklärung legt einen Fahrplan zur Beendigung der Besatzung und zur Verwirklichung eines palästinensischen Staates fest.
„Die Anerkennung Palästinas durch 157 Staaten zeigt einen überwältigenden globalen Konsens darüber, dass die Besatzung enden muss. Die Zeit der reinen Erklärungen ist vorbei. Staaten, die Palästina anerkennen, müssen nun ihren Verpflichtungen nachkommen und Israel für Annexionen, Zerstörungen und die Behinderung humanitärer Hilfe zur Rechenschaft ziehen. Anerkennung bedeutet nichts, wenn kein Land mehr bleibt, auf dem ein lebensfähiger palästinensischer Staat entstehen kann“, so Egeland.
Hinweise für die Redaktionen:
- Fotos und B-Roll-Material von Egelands Besuch im Westjordanland stehen hier zur freien Verwendung zur Verfügung.
- NRC ist seit 2009 im besetzten palästinensischen Gebiet tätig und hat im Jahr 2025 Zehntausende Palästinenser*innen im Westjordanland unterstützt durch:
- Rechtsberatung und Rechtsbeistand, um Palästinenser*innen in ihren Häusern zu halten, Zwangsumsiedlung und Vertreibung zu verhindern und die Rückkehr vertriebener Personen zu unterstützen;
- Mehrzweckzahlungen, um vertriebenen Familien zu helfen, ihre dringendsten Bedürfnisse zu decken;
- Bildungsprogramme, einschließlich psychosozialer Unterstützung und Förderunterricht;
- Notunterkünfte sowie Unterstützung in den Bereichen Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene (WASH) für Familien, die vertrieben wurden oder keinen Zugang mehr zu Wasserversorgung haben;
- Schutzdienste für vertriebene Gemeinschaften oder Gemeinschaften, die von Vertreibung bedroht sind.
- Seit Januar wurden mindestens 199 Palästinenser*innen von israelischen Streitkräften oder Siedler*innen getötet und mehr als 3.200 verletzt (Vereinte Nationen).
- Seit Januar 2025 haben israelische Militäroperationen in den Geflüchtetenlagern Jenin, Nur Shams und Tulkarm über 31.919 Menschen vertrieben, doch humanitäre Beobachter*innen dürfen das volle Ausmaß der Zerstörung weiterhin nicht beurteilen (Vereinte Nationen).
- Im Jahr 2025 wurden fast 1.400 palästinensische Infrastrukturen zerstört – durchschnittlich fast fünf pro Tag. Dies hat 1.772 Menschen vertrieben und Zehntausende weitere betroffen (Vereinte Nationen).
- Im Westjordanland kam es in den ersten neun Monaten des Jahres 2025 durchschnittlich zu mehr als vier gewalttätigen Vorfällen durch Siedler*innen pro Tag (Vereinte Nationen).
Für weitere Informationen oder um ein Interview zu vereinbaren, wenden Sie sich bitte an:
- Ahmed Bayram, MENA Media Adviser, NRC Norwegian Refugee Council in Amman: ahmed.bayram@nrc.no, +962 790 160 147
- Zoe-Marie Lodzik, Communication Adviser, NRC Deutschland: zoemarie.lodzik@nrc-hilft.de, +49 151 578 60663
- NRC Norwegian Refugee Council weltweite Medien-Hotline: media@nrc.no, +47 905 62 329
