Hier sind sechs wissenswerte Fakten über die Situation in der Ukraine:
1. Über 1,4 Millionen Menschen im ganzen Land sind registrierte Binnenflüchtlinge
Wenn eine Vertreibungskrise sechs Jahre andauert, sind die Aussichten für Vertriebene, in die lokalen Gemeinden integriert zu werden oder dauerhafte Lösungen zu erreichen, ungewiss. Da die Ressourcen bis ans Limit ausgelastet sind, werden viele vertriebene Familien immer noch diskriminiert und haben Schwierigkeiten, eine Unterkunft und Zugang zu Grundversorgungsleistungen zu bekommen sowie eine dauerhafte Beschäftigung zu finden. Zwölf Prozent der Binnenvertriebenen in der Ukraine haben seit ihrer Registrierung keine Sozialleistungen mehr erhalten.

2. Seit Beginn des Konflikts wurden mehr als 13.000 Menschen getötet, ein Viertel davon Zivilisten, und über 30.000 wurden verletzt (über 7.000 davon Zivilisten).
Die Kämpfe fordern von der Zivilbevölkerung einen hohen Tribut. Die unmittelbaren Folgen für die einfache Bevölkerung sind nach wie vor eine Herausforderung, da der tägliche Beschuss und die allgegenwärtige Gefahr durch Landminen und nicht explodierte Sprengkörper das körperliche und mentale Wohlbefinden beeinträchtigen.
Außerdem werden die kommunale Infrastruktur und zivile Einrichtungen angegriffen, wodurch Millionen Menschen Gefahr laufen, den Zugang zu Wasser, medizinischer Versorgung, Bildung und Heizung zu verlieren.
Neben Schulen, Krankenhäusern und Wasseranlagen wurden über 55.000 Wohngebäude auf beiden Seiten der „Kontaktlinie“ beschädigt oder zerstört.
Schätzungen zufolge sind innerhalb der 20 Kilometer auf beiden Seiten der „Kontaktlinie“ 2 Millionen Menschen von Minenkontamination betroffen. Dies bedeutet eine tödliche Gefahr und hindert die Menschen daran, auf ihren Farmen zu arbeiten oder Feuerholz zu sammeln. Seit 2014 wurden über 1.000 Todesopfer im Zusammenhang mit Minen und Sprengstoffen registriert.

3. Jeden Monat überqueren eine Million Menschen die Kontaktlinie – trotz der tödlichen Gefahr durch Beschuss, Landminen und Sprengstoffe
Zivilistinnen und Zivilisten müssen die Kontaktlinie über einen der fünf Ein- und Ausreisekontrollpunkte überqueren, die die gesamte Region Donetsk und Luhansk bedienen. Sie überqueren die Linie, um ihre Familien zu besuchen, auf dem Markt einzukaufen, Dokumente zu beschaffen oder Zugang zu wichtigen staatlichen Dienstleistungen zu erhalten sowie um nach ihrem Eigentum zu schauen. Die meisten dieser Menschen sind über 60 Jahre alt und müssen diese Reise auf sich nehmen, um an ihre Pension zu kommen, da diese ihre einzige Einkommensquelle ist.
Die Menschen stehen an den Kontrollpunkten stundenlang Schlange, selbst im eiskalten Winter oder unter der sengenden Sonne im Sommer. Obwohl die Bedingungen hier bereits verbessert wurden, sind in den letzten zwei Jahren an den Kontrollpunkten über 90 Menschen aufgrund von gesundheitlichen Komplikationen gestorben. Trotz der erheblichen Bemühungen der Regierung und der humanitären Gemeinschaft fehlt es an den Kontrollpunkten nach wie vor an grundlegenden Dienstleistungen wie Hygieneeinrichtungen, Trinkwasser und Erster Hilfe.

4. Über 530.000 Menschen sind von Ernährungsunsicherheit betroffen und etwa 480.000 brauchen Unterstützung für den Lebensunterhalt
Die langwierige Krise hat dazu geführt, dass die Mittel der Menschen nahezu erschöpft sind. Steigende Preise und die Abnahme der Industrieproduktion in Verbindung mit hoher Arbeitslosigkeit haben zur Folge, dass die Menschen Probleme haben, sich und ihre Familien zu versorgen. Die Menschen in der Ostukraine sind häufig zu unmöglichen Entscheidungen gezwungen – etwa, ob sie ihr Geld für Lebensmittel oder Medikamente ausgeben oder um ihre Kinder zur Schule zu schicken.
Die geschwächten sozialen Sicherungssysteme, der gestörte Zugang zu den Märkten und die Aussetzung von Sozialleistungen haben die am stärksten gefährdeten Menschen wie Ältere, Alleinerziehende und Menschen mit Behinderungen schwer getroffen.

5. Zugang zu Rechten ist für die vom Konflikt betroffene Bevölkerung schwierig
Fast 700.000 Rentnerinnen und Rentner erhalten aufgrund der restriktiven Richtlinien, welche die Zahlung an die Pflicht zur Registrierung als Binnenflüchtling knüpfen, keine Rente.
Über 50 Prozent der nach 2014 geborenen Kinder aus den derzeit nicht unter Kontrolle der ukrainischen Behörden befindlichen Regionen Donetsk und Luhansk haben keine von der ukrainischen Regierung ausgestellte Geburtsurkunde erhalten. Das bedeutet, dass sie keinen Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung haben und Gefahr laufen, staatenlos zu werden.
Auch eine offizielle Bestätigung von Todesfällen ist in diesen Regionen schwer zu erhalten, was wiederum zu Problemen in Zusammenhang mit Erbschafts- und Eigentumsrechten führt.

6. Die humanitäre Hilfe ist unterfinanziert
Trotz der immensen Auswirkungen der Krise wird die humanitäre Hilfe durch die fehlende Finanzierung behindert.
Die Möglichkeiten der humanitären Hilfsorganisationen, den Bedarf der betroffenen Bevölkerung zu decken, hängt von der Höhe der Finanzierung ab. Auf der von NRC Flüchtlingshilfe erstellten Liste der am meisten missachteten Vertreibungskrisen von 2019 belegte die Ukraine den fünften Platz. Im Jahr 2018 wurden nur 37 Prozent der für die humanitäre Hilfe benötigten Mittel bereitgestellt. Trotz eines leichten Anstiegs im Jahr 2019 ist die Finanzierung nach wie vor gering und schränkt die humanitäre Hilfe stark ein.
Die humanitäre Gemeinschaft erreicht aufgrund der begrenzten Mittel und des mangelnden Zugangs knapp über eine Million Menschen jährlich – nur die Hälfte aller Menschen in Not.
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NRC Flüchtlingshilfe ist seit 2014 in der gesamten Ukraine im Einsatz, um die konfliktbetroffenen Bevölkerung dabei zu unterstützen, ihre beschädigten oder zerstörten Häuser wiederaufzubauen und durch Unternehmenszuschüsse, Berufsbildungs- und Entwicklungsprojekte selbstständig zu werden. Darüber hinaus bieten wir Rechtsberatung an, um Vertriebenen und anderen Betroffenen zu helfen, ihre Rechte geltend zu machen.
Seit dem Beginn unserer Aktivitäten in der Ukraine haben wir es geschafft, über 159.000 Menschen zu unterstützen.