AFGHANISTAN/Mazar-i-Sharif
Nov 2019
Photo: Ingrid Prestetun /NRC 

Mama khal- Mahmood (67): at the NRC distributing point waiting to receive money to bay a stove and firewood for the winter.  

She is a widow and female HH living with her grandsons/ daughters. There are 16 members in her family. She is making wool waving to support her family and additionally her closed relatives collect money from people and support her on monthly basis with very small amount of money.

The family is included in NRC's shelter upgrade project and winterization program.
Afghanistan

Wie Ana ein Dach über dem Kopf bekam

„Wir frieren, hungern und leiden, aber jetzt freuen wir uns darauf, in ein neues Haus zu ziehen“, sagt Ana, 67.

Die Witwe Ana spricht über ihre dramatische Flucht, die Strapazen eines Lebens als Vertriebene und ihren Traum von einem neuen Zuhause. Sie ist eine der vielen Tausend, die ihre Heimat aufgrund des Konflikts verlassen mussten. Viele gehen in die Großstädte, wo sie in Zelten oder halb fertigen Häusern leben – ohne Dächer, Fenster und Türen.

In den ersten elf Monaten des Jahres 2019 wurden durch den Konflikt in Afghanistan 398.000 Menschen vertrieben, so das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA). Das entspricht durchschnittlich 36.181 Menschen pro Monat oder 1.200 täglich. Die Hälfte davon sind Kinder.

Der Winter hat gerade erst begonnen und wir erhalten bereits erste Berichte über Kinder, die aufgrund der Kälte gestorben sind.

„Der Winter in Afghanistan kann brutal sein. NRC Flüchtlingshilfe arbeitet unermüdlich, damit mehr Menschen ein Dach über dem Kopf bekommen und es warm haben“, sagt Astrid Sletten, die das Programm von NRC Flüchtlingshilfe in Afghanistan leitet.

AFGHANISTAN/Masar-i-Sharif: Ana sitzt mit ihrer Schwiegertochter auf einer Decke vor dem Eingang des Kellers, in dem die Familie seit einem Jahr lebt. Durch die Unterstützung von NRC Flüchtlingshilfe kann sie nun in ein neues Haus ziehen. Sie sieht hinüber zu den zwei hilfsbereiten Nachbarn, die das neue Haus der 67-jährigen Witwe fast fertiggestellt haben.

Als wir ankommen, verschwindet die Schwiegertochter in der blauen Burka schnell im Keller, Ana möchte hingegen ihre Dankbarkeit ausdrücken und uns von dem harten Leben auf der Flucht erzählen.

Ana und ihre Schwiegertochter am Eingang zu dem Keller, der ein Jahr lang ihr Zuhause war. Foto: Azad Enayatullah

„Zwei meiner Söhne wurden getötet“

„Im Frühjahr und Sommer 2017, als die Kämpfe in der Provinz Faryab eskalierten, verlor ich zwei Söhne. Meine Schwiegertochter wurde Witwe und meine vier Enkelkinder vaterlos.

Im Herbst, als bewaffnete Gruppen ihr Dorf angriffen, stand die Familie im Kreuzfeuer zwischen den bewaffneten Gruppen und der Regierungsarmee.

Wir wurden von Panzern und Flugzeugen beschossen und rannten um unser Leben. Alles, was wir mitnehmen konnten, waren die Kleider, die wir trugen.“

Sie erzählt von bombardierten Häusern, Leichen, schreienden Frauen und weinenden Kindern. Sie gingen mehrere Stunden zu Fuß und nahmen schließlich ein Tuk-tuk (ein afghanisches dreirädriges Taxi). Ein paar Tage später kamen sie in Masar-i-Sharif an und ließen sich auf einem unwirtlichen Stück Land außerhalb der Stadt nieder.

Ana spricht über ihre dramatische Flucht und die Strapazen des Lebens auf der Flucht. Foto: Ingrid Prestetun

Brutaler Winter

„Wir verbrachten den Herbst und den Winter unter einer einfachen Plane. Wir sammelten alles Holz und brennbares Material, das wir finden konnten, und versuchten uns damit warmzuhalten.“

Der Winter ist in dieser Region bitterkalt, mit Regen und Schnee, und kann über vier Monate lang anhalten.

„Als der Frühling kam, ging ich in unser Dorf zurück und verkaufte mein Haus und mein Grundstück.“

Mit der Beratung und Unterstützung von NRC Flüchtlingshilfe erhielten rund 2.070 vertriebene Familien die Möglichkeit, in dieser Region Grundstücke zu kaufen. Die meisten dieser Familien stammen aus den Provinzen Faryab und Balkh.

Die Siedlung außerhalb Masar-i-Sharifs, wo Ana und 570 weitere Familien sich niedergelassen haben. Foto: Ingrid Prestetun

NRC Flüchtlingshilfe hilft den Familien, die am stärksten gefährdet sind

Hier haben Ana und ihre Familie sich niedergelassen. „Wir konnten im Frühjahr 2018 ein Grundstück kaufen und zogen in einen Keller, den wir selbst gegraben haben.“

Vor zwei Jahren war hier nichts als ein karges Feld. Jetzt stehen hier zwei Dörfer, die zusammengewachsen sind, mit Infrastruktur wie Straßen, Wasserstellen und Läden.

Wie viele andere Familien in Not hat Ana knapp 300 US-Dollar (ca. 270 Euro) bekommen, um ihr Haus fertigzustellen. Die Arbeit muss die Familie selbst erledigen. Glücklicherweise hat Ana freundliche Nachbarn, die ihr dabei helfen.

„Mit dem Geld von NRC Flüchtlingshilfe konnten wir nun endlich das Dach fertigstellen und ein Fenster und eine Tür einbauen“, sagt Ana.

Amanullah vertritt die vertriebenen Familien in der Siedlung außerhalb Masar-i-Sharifs. Foto: Azad Enayatullah

Nachbarschaftshilfe

„Als die ersten Familien ankamen, war dies ein totes, verlassenes Feld. Alle Familien hier sind aus derselben Region hierher geflohen. Wir kümmern uns um einander und helfen denen, die es besonders schwer haben, so wie Ana“, sagt Amanullah, der die Familien in der Siedlung vertritt.

Der ehemalige Lehrer floh vor drei Jahren mit seiner Familie aus der Provinz Faryab. Aus eigener Initiative gelang es ihm, eine Vereinbarung zwischen den Familien, die sich hier niedergelassen haben, den lokalen Behörden und dem Landbesitzer zu erreichen.

Die Familien konnten Grundstücke im Mietkauf erwerben. Die Familien bauten ihre Häuser selbst, während die lokalen Behörden die Infrastruktur zur Verfügung stellten. Verschiedene humanitäre Hilfsorganisationen, wie zum Beispiel NRC Flüchtlingshilfe, haben ebenfalls Unterstützung geleistet.

Viele Herausforderungen

„Die größten Probleme sind Armut und der Mangel an bezahlter Arbeit. Manche finden Tagesarbeit, zum Beispiel auf Farmen, auf dem Bau oder andere körperliche Arbeit“, sagt Fardin Hafizi, Leiter des Unterkunfts-Projekts von NRC Flüchtlingshilfe.

Es gibt in der Siedlung weder medizinische Einrichtungen noch Schulen. Es gibt lediglich ein Zelt, in das ein Lehrer aus einer Schule in der Stadt kommt, um zu unterrichten.

„Es gibt nicht annähernd genug Lehrkräfte, die Sommer sind brütend heiß und die Winter beißend kalt. Nur wenige Eltern können sich die Fahrtkosten leisten, um ihre Kinder in der Stadt zur Schule zu schicken. Viele haben auch Angst, ihre Kinder allein loszuschicken, das gilt insbesondere für die Töchter“, sagt Hafizi.

Afghanistan/Masar-e-Sharif
Nov 2019
Photo: Ingrid Prestetun/NRC

A newly displaced family is seeking shelter under a tent in the outskirt of Mazar-e-Sharif. The previous night was cold with temperatures below 0 Celsius.
Neu angekommene Familien in der Siedlung außerhalb Masar-i-Sharifs. Foto: Ingrid Prestetun

Leben in Zelten

Jede Woche kommen neue Familien an. Sie stammen aus denselben Dörfern.

„Deshalb werden sie gut aufgenommen. Jeder hier weiß, was es bedeutet, sein Zuhause verlassen zu müssen, alles zurückzulassen und buchstäblich bei Null anzufangen. Deshalb sind sie Neuankömmlingen gegenüber gastfreundlich und überlassen ihnen gerne die Zelte, in denen sie zuvor gelebt haben. Und jetzt im Winter werden die Neuen auch zum Übernachten in die Häuser eingeladen“, sagt Hafizi.

Laut OCHA berichten zwei Drittel der vertriebenen Familien in Afghanistan (65 Prozent), dass sie nicht in einer festen Unterkunft leben (10 Prozent leben in Zelten, 19 Prozent in provisorischen Unterkünften und 36 Prozent in Lehm-/Ziegel-Hütten).

Fardin Hafizi leitet das Unterkunfts-Projekt von NRC Flüchtlingshilfe. Foto: Ingrid Prestetun

Langfristige Hilfe

Hafizi besucht die Witwe Ana. Er gibt den Arbeitern Anweisungen und achtet darauf, dass das Dach fertiggestellt und dass Türen und Fenster eingebaut werden.

„Anfangs leisteten wir lebensrettende humanitäre Hilfe – wir verteilten Zelte, Küchenutensilien, Decken, Matratzen und Hygieneartikel.“

Diese Aufgaben haben nun andere Organisationen übernommen, während NRC Flüchtlingshilfe sich verstärkt auf langfristige Hilfe und dauerhafte Lösungen konzentriert.

„Zelte sind nur eine vorübergehende Notlösung. Deshalb bauen wir Häuser. Wir helfen den Familien, einfache Häuser zu bauen. Letzten Herbst haben wir Häuser mit Dächern, Fenstern und Türen ausgestattet.“

Ana macht sich Sorgen um ihre Enkel. Von links: Gul Soma, 10, Mariam, 6, Rahimullah, 7, und Kahyr, 12. Foto: Azad Enayatullah

Sorgen um ihre Enkel

Ana macht sich Sorgen um ihre Enkel und um ihre eigene Gesundheit.

„Die Kinder gehen nicht zur Schule, wir haben nicht genug Geld für Kleidung, und es gibt hier in der Gegend keine medizinischen Einrichtungen. Ich bin krank, aber ich habe kein Geld für Medikamente oder die Fahrt zum Krankenhaus.“

Verwandte und hilfsbereite Nachbarn geben der Familie manchmal etwas Geld, damit sie etwas Mehl, Reis, Kartoffeln und Gemüse kaufen können. Aber die Familie hat kaum Möglichkeiten zu kochen. Die älteren Kinder bringen Mehl zu einem Bäcker in der Nachbarschaft und bekommen gegen ein paar Afghani etwas Brot.

AFGHANISTAN/Mazar-i-Sharif
Nov 2019
Photo: Ingrid Prestetun/NRC

Mama khal- Mahmood shows us what the family eats for breakfast, lunch and supper: only dried bread. Sometimes good neighbors give them some potatoes and vegetables. 

Mama khal- Mahmood (67): She is a widow and female HH living with her grandsons/ daughters. There are 16 members in her family. She is making wool waving to support her family and additionally her closed relatives collect money from people and support her on monthly basis with very small amount of money.

The family is included in NRC's shelter upgrade project and winterization program.
Der Lebensmittelvorrat der Familie besteht aus einer Tüte mit altem, trockenem Brot. Foto: Ingrid Prestetun

Überleben mit altem Brot

Ana zieht eine weiße Plastiktüte mit vertrocknetem Brot hervor.

„Hier, das ist alles, was wir zu essen haben. Wir leben hier schlechter als Tiere. In unserem Dorf hatten wir Kamele, Affen und Ziegen. Und wir hatten Obst und Gemüse. Wir konnten gut leben und uns selbst versorgen. Jetzt sind wir von den Almosen unserer Nachbarn abhängig. Sie bringen uns altes Brot, das sie gesammelt haben, und manchmal ein bisschen Gemüse.

Laut OCHA sind in Afghanistan 2,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren akut unterernährt. 690.000 davon (27 Prozent) leiden unter schwerer akuter Unterernährung und könnten sterben, wenn sie nicht medizinisch versorgt werden.

Anas Enkelin Mariam (6) hat im Konflikt ihren Vater verloren. Sie geht nicht zur Schule. Und sie hat nicht genug zu essen. Foto: Ingrid Prestetun

Die Kinder leiden

Ana sorgt sich um die Kinder: „Die Kinder haben schreckliche Dinge erlebt. Sie haben im Konflikt ihren Vater verloren, sie haben die Zerstörung durch den Krieg gesehen, sie haben aus nächster Nähe Not und Leid erfahren.“

Laut OCHA leben fast zwei Drittel aller Afghaninnen und Afghanen in Regionen, die unmittelbar von Krieg und Konflikt betroffen sind. Mehr als die Hälfte sind Kinder unter 18. (47,3 Prozent der 35,7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Afghanistans sind unter 15). Sie sind zunehmend Gewalt und Vertreibung ausgesetzt – und sie verlieren ihre Existenzgrundlage und den Zugang zu Grundversorgungsleistungen wie medizinischer Versorgung und Bildung.

Die Enkelkinder versuchen sich unter einem Sandali aufzuwärmen (von links): Kahyr, 12, Rahimullah, 7, Gul Soma, 10, and Mariam, 6. Foto: Azad Enayatullah

Der Kampf ums Warmbleiben

Die Familie ist vor Kurzem in ihr neues Einzimmerhaus gezogen. Ana schläft mit ihrer Schwiegertochter und den vier Kindern auf dem Fußboden. Sie haben nur ein paar Kissen und Decken, die sie auf den kalten Betonboden legen können. In der Siedlung gibt es keinen Strom.

„Manche Familien haben kleine Solarzellen, die genug Strom für eine Glühbirne liefern, aber wir haben so etwas nicht“, sagt Ana.

Die Familie hat einen Sandali, einen traditionellen afghanischen Ofen, der aus einem Holzrahmen und einem Behälter mit glühender Kohle besteht. Man deckt ihn mit Decken zu, dann krabbelt man unter die Decken und wärmt sich die Füße.

„Letzte Nacht war es sehr kalt. Wir hatten nicht genug Geld, um Kohle zu kaufen, und ein Sandali bleibt nur ein paar Stunden lang warm. Aber mir wurde gesagt, dass wir von NRC Flüchtlingshilfe morgen Geld bekommen, damit wir einen besseren Holzofen und Holz kaufen können“, sagt Ana.

Ana hat sich mit anderen Frauen in die Warteschlange eingereiht. Heute bekommen sie Geld, um einen Ofen und Feuerholz kaufen zu können. Foto: Ingrid Prestetun

Ein Holzofen und Brennmaterial

Am nächsten Tag treffen wir Ana an der Ausgabestelle in der Siedlung. Sie hat sich mit vielen anderen in die Schlange eingereiht, um 15.700 Afghani (ca. 200 US-Dollar, bzw. 180 Euro) entgegenzunehmen, um damit einen Holzofen und Feuerholz zu kaufen. Ein einfacher Holzofen kostet etwa 1.700 Afghani, etwa 20 US-Dollar (18 Euro).

Ana bekommt Geld, um einen Holzofen und Brennholz zu kaufen. Foto: Azad Enayatullah