Israelische Siedler*innen errichteten 500 Meter von Ein Samiya entfernt einen Außenposten und begannen einen mehrtägigen Angriff auf die gesamte Gemeinde. Die gesamte Gemeinde von 172 Menschen, darunter 78 Kinder, wurden am Dienstag zur Flucht aus ihren Häusern gezwungen. Foto: Ahmad Al-Bazz/NRC Flüchtlingshilfe

Westjordanland: Israel muss den Abriss palästinensischer Schulen stoppen

Veröffentlicht 25. Mai 2023
Über 6.550 palästinensischen Schülerinnen und Schülern droht ein Leben ohne Ausbildung, sollte Israel nicht den geplanten Abriss von 57 Schulen im besetzten Westjordanland stoppen.

Zwei Schulen in den Beduinengemeinden von Ein Samiya, nordöstlich von Ramallah, und Khashm al-Karm, südöstlich von Hebron, sind von dem bevorstehendem Abriss durch die israelischen Behörden betroffen. In Ein Samiya haben wiederholte Angriffe durch israelische Siedler*innen und den drohenden Abriss der Schule die gesamte Gemeinde von 172 Menschen, darunter 78 Kinder, am Dienstag zur Flucht gezwungen.

„Wir appellieren an Israel, keine Schulen zu zerstören und die Abrissbefehle im besetzten Westjordanland umgehend zu stoppen“, sagt Caroline Ort, Landesdirektorin für NRC Flüchtlingshilfe in Palästina. „Wenn eine Schule zerstört wird, ist nicht nur die Schulausbildung der betroffenen Schüler*innen bedroht, sondern auch die Zukunft ihrer Familien, die ihre Heimat und Lebensgrundlagen zurücklassen müssen, um ihren Kindern an einem anderen Ort eine Schulbildung zu ermöglichen.“

„Die Gewalt durch den israelischen Staat und die Siedler*innen, die Zerstörung von Eigentum und das Vorenthalten von Grundversorgungsleistungen hat allein im Jahr 2023 drei palästinensische Gemeinden zur Flucht gezwungen. Ohne deutliche Maßnahmen, um Israel für diese Völkerrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen, werden immer mehr Palästinenser*innen gewaltsam vertrieben“, fügt Ort hinzu.

Israelische Siedler*innen errichteten letzte Woche etwa 500 Meter von Ein Samiya entfernt einen Außenposten und begannen mit einem mehrtägigen Angriff auf die gesamte Gemeinde. Seit März 2022 haben israelische Siedler*innen die Gemeinde belästigt und eingeschüchtert. Sie warfen Steine auf palästinensische Fahrzeuge, zerstörten oder stahlen landwirtschaftliche Geräte, zündeten Ackerflächen an, entwurzelten Pflanzen, überfuhren Vieh und blockierten Straßen.

Das West Bank Protection Consortium („Konsortium zum Schutz des Westjordanlandes“), das von NRC Flüchtlingshilfe geleitet wird, leistet den Gemeinden von Ein Samiya und Khashm al-Karm materielle und rechtliche Unterstützung und errichtete auch zwei neue Schulen. Zuvor mussten die Kinder mehrere Kilometer in bergigem Gelände zurücklegen, um zur Schule zu kommen.

Den Schulen droht schon lange der Abriss, da keine Baugenehmigungen vorliegen. Diese allerdings sind unter dem diskriminierenden und rechtswidrigen israelischen Planungsregime praktisch unmöglich zu bekommen. Die israelischen Behörden haben am 7. Mai bereits eine vom Konsortium finanzierte Schule in der Gemeinde Jubbet Adh-Dhib, südöstlich von Bethlehem, abreißen lassen.

NRC Flüchtlingshilfe besuchte die Gemeinde nach dem Abriss. Die Kinder sagten, sie hätten ihre Schule und alles verloren, was sich in ihren Klassenräumen befand. Sie setzten den Unterricht in provisorischen Zelten fort, die jedoch ebenfalls von den israelischen Behörden beschlagnahmt wurden.

Eine Viertklässlerin erinnert sich an den Moment, als ihre Schule abgerissen wurde. „Ich konnte von zu Hause aus zusehen, wie sie [das israelische Militär] meine Schule zerstörten“, sagt sie. „Am nächsten Tag ging ich hin und es war nichts mehr da. Meine Schule war weg. Das ist furchtbar, weil wir jetzt nicht mehr lernen können.“

Ein Lehrer der Schule fügt hinzu: „Noch schlimmer als der materielle Verlust ist der seelische Schaden für Kinder und Lehrkräfte. Aber trotz dieser Tatsache und des hohen Preises, den wir bezahlen, wollen wir den Kindern die Möglichkeit zum Lernen geben, weil es das Richtige ist.“

Angriffe auf die Bildung oder die Zerstörung von Schulen dürfen nicht instrumentalisiert werden, um die Zukunft junger Palästinenser*innen zu zerstören. NRC Flüchtlingshilfe wird gemeinsam mit ihren Partnern die Betroffenen unterstützen und Israel nachdrücklich darum bitten, seinen Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht nachzukommen.

 

Hinweise an Redakteure:

  • Das West Bank Protection Consortium wurde gegründet, um die Zwangsumsiedlung von Palästinenser*innen im Westjordanland zu verhindern. Es handelt sich um eine strategische Partnerschaft zwischen fünf internationalen NGOs, zehn EU-Gebern, dem Vereinigten Königreich und der Generaldirektion Europäischer Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe der Europäischen Kommission (ECHO).
  • Laut UN OCHA (Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten) hat Israel in diesem Jahr im Westjordanland bisher 369 Abrissoperationen durchgeführt und dabei 563 Menschen vertrieben.
  • Nach Angaben der Vereinten Nationen fanden in diesem Jahr zwei weitere gewaltsame Vertreibungen statt. 27 Menschen, darunter 16 Kinder, flohen aus Wadi as-Seeq, nachdem dort ein neuer Siedler-Außenposten errichtet worden war. 31 Menschen, darunter 17 Kinder, flohen unter ähnlichen Umständen aus Lifjim.
  • Nach Angaben der Vereinten Nationen hat Israel seit 2012 im Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalem 36 Zerstörungen von 20 Schulen durchgeführt.

Für weitere Informationen oder Interviewanfragen kontaktieren Sie bitte:

  • Ahmed Bayram, Regional Media and Communications Adviser, Regionalbürp Naher Osten: bayram@nrc.no, +962 7 9016 0147
  • NRC globale Medienhotline: media@nrc.no, +47 905 62 329