Kein Zuhause für pakistanische Geflüchtete

Die pakistanischen Geflüchteten in Afghanistan sehen einer düsteren Zukunft entgegen, da die internationalen Organisationen sich aus dem Lager in Gulan im Südosten des Landes zurückziehen. Die Pläne für 2020 sehen keine Finanzierung ihrer Hilfeleistung vor. In dieser Fotostory berichten die Bewohnerinnen und Bewohner des Lagers von ihren Sorgen und Hoffnungen.

Insgesamt 7.500 geflüchtete Familien, darunter mindestens 20.000 Kinder, sind von dieser Entscheidung betroffen und nun auf sich gestellt – ohne einen Ort, den sie Zuhause nennen können. Sie stehen inmitten eines Streits zwischen der afghanischen und der pakistanischen Regierung, die Anspruch auf ihre Staatsbürgerschaft erheben, und haben daher keinen Zugang zu ihren Grundrechten mehr.

NRC Flüchtlingshilfe hat seit Beginn der Notlage in und rund um das Lager in Gulan in der Provinz Khost für Bildung gesorgt. Wir haben Lehrkräfte und Schulkinder im Lager gebeten, ihre Sorgen zu beschreiben, falls die internationale Gemeinschaft sie im Stich lässt.

Robina, 44, ist Lehrerin in einer der Schulen für pakistanische Geflüchtete, die von NRC Flüchtlingshilfe geleitet werden. Sie sorgt sich um die Zukunft ihrer Schülerinnen und Schüler. „Hunderte Pakistanis werden ihren Job verlieren und die Zukunft von Tausenden von Flüchtlingskindern wird im Dunkeln liegen, wenn die internationalen Organisationen sich aus dem Lager zurückziehen“, sagt sie. Foto: Enayatullah Azad/NRC

In einer der von NRC Flüchtlingshilfe geführten Schulen für pakistanische Geflüchtete sagt Robina, 44, dass sie sich um die Zukunft ihrer Schülerinnen und Schüler sorgt und jede Hoffnung verloren hat.

„Wir haben unser ganzes Hab und Gut zurückgelassen und wurden von unseren Verwandten in Pakistan getrennt, aber die humanitären Organisationen halfen uns, wieder auf eigenen Füßen zu stehen“, sagt sie. „Jetzt ziehen sich viele von ihnen aus dem Lager zurück. Hunderte Pakistanis werden ihren Job verlieren und die Zukunft von Tausenden von Flüchtlingskindern liegt im Dunkeln.“

Robina absolvierte in Pakistan einen Master-Studiengang in Politikwissenschaften. Seitdem sie 2017 aus ihrer Heimat fliehen musste, arbeitet sie im Lager als Lehrerin für das von NRC Flüchtlingshilfe durchgeführte Notbildungsprogramm.

NRC Flüchtlingshilfe sorgt für die Bildung Tausender Flüchtlingskinder im Gulan-Flüchtlingslager. Wir haben außerdem Schulen vor Ort dabei geholfen, ihre Räumlichkeiten und Einrichtungen zu erweitern. Foto: Enayatullah Azad/NRC

Im Jahr 2014 führten militärische Operationen Pakistans im Distrikt Nordwaziristan an der Grenze zu Afghanistan zur Vertreibung Tausender Zivilistinnen und Zivilisten nach Afghanistan, vor allem in die Provinzen Khost und Paktika.

Viele dieser Geflüchteten sind seitdem bereits zurückgekehrt. Man geht jedoch davon aus, dass schätzungsweise 72.000 Menschen sich nach wie vor in Afghanistan aufhalten. Die meisten leben im Gulan-Lager in Khost, nahe der pakistanisch-afghanischen Grenze.

Darüber hinaus haben grenzüberschreitende Auseinandersetzungen rund um die Durand-Linie weitere 750 Familien aus Nordwaziristan nach Khost vertrieben, sowie über 400 Flüchtlingsfamilien, die zuvor in Paktika gelebt hatten.

Viele dieser Geflüchteten sind einer Rückkehr nach Pakistan gegenüber skeptisch eingestellt, da ihre Häuser und die weitere Infrastruktur zerstört ist und sie befürchten, bei ihrer Rückkehr festgehalten zu werden.

Saoud Rahman, ein Schneider aus Nordwaziristan, wurde aus seinem Heimatdorf vertrieben und lebt nun im Gulan-Lager. Er hat eine Schneiderei auf dem Basar des Lagers und unterrichtet in einer der Grundschulen, die von NRC Flüchtlingshilfe eingerichtet wurden. „Unsere Kinder haben etwas Besseres verdient“, sagt er. Foto: Jim Huylebroek/NRC

Saoud Rahman, ein Schneider aus Nordwaziristan, wurde aus seinem Heimatdorf nach Pakistan vertrieben. Er lebt seit vier Jahren im Gulan-Lager. Dort führt er auf dem Basar des Lagers eine Schneiderei und unterrichtet in einer der von NRC Flüchtlingshilfe geführten Grundschulen.

Rahman teilt Robinas Sorgen wegen der sinkenden Mittel, die für Geflüchtete bereitgestellt werden. Besonders besorgt ist er über die Zukunft der Flüchtlingskinder. „Unsere Kinder haben das nicht verdient“, sagt er. „Sie verdienen ihr Recht auf eine bessere und höhere Bildung.“

NRC Flüchtlingshilfe setzt sich seit mehreren Jahren dafür ein, dass afghanische Schulen auch pakistanische Geflüchtete aufnehmen. Die derzeitige Regierungspolitik bedeutet jedoch, dass Geflüchtete nicht immer profitieren. „Obwohl die Flüchtlingskinder von der afghanischen Regierung als Binnenvertriebene betrachtet werden, können sie sich ohne Nachweis ihrer afghanischen Staatsangehörigkeit keine afghanische Schule besuchen“, erklärt Anthony Neal, Advocacy Manager für NRC Flüchtlingshilfe in Afghanistan. Foto: Jim Huylebroek/NRC

„Obwohl die Flüchtlingskinder von der afghanischen Regierung als Binnenvertriebene betrachtet werden, können sie sich ohne Nachweis ihrer afghanischen Staatsangehörigkeit keine afghanische Schule besuchen. Hier wird ein weiterer Bereich deutlich, in dem diese Bevölkerung durch die Kluft zwischen Rhetorik und Handlungen der Regierung fällt“, sagt Anthony Neal, Advocacy Manager für NRC Flüchtlingshilfe im Afghanistan.

Um sicherzustellen, dass Flüchtlingskinder Zugang zu Bildung haben, hat NRC Flüchtlingshilfe in Zusammenarbeit mit NORAD, der norwegischen Behörde für Entwicklungszusammenarbeit, im Lager Kurse und Lehrkräfte für bis zu 20.000 geflüchtete Kinder organisiert.

Vor Kurzem hat NRC Flüchtlingshilfe außerdem mit der PATRIP-Stiftung zusammengearbeitet, um afghanische Schulen für die künftige Integration der Flüchtlingskinder zu rüsten, indem Klassenräume und Schuleinrichtungen erweitert wurden.

„Nach mehreren Jahren wird die direkte Bereitstellung von Bildung außerhalb des formalen Schulsystems langsam untragbar. Darum haben wir an einer besseren Lösung gearbeitet, von der nicht nur die Flüchtlingskinder, sondern auch die lokale Bevölkerung profitieren werden, indem wir die Schulen in der Region erweitert und aufgerüstet haben. Die zusätzlichen Klassenräume werden jedoch so lange leerstehen, bis die Regierung eine entsprechende Änderung in der Flüchtlingspolitik verabschiedet, die es Flüchtlingskindern erlaubt, eine öffentliche Schule zu besuchen“, sagt Neal.

Geflüchtete aus Waziristan sind derzeit nicht in der Lage, ihre Rechte als Geflüchtete geltend zu machen. Sie genießen auch nicht dieselben Rechte wie afghanische Binnenvertriebene, dürfen nicht arbeiten, zur Schule gehen oder sich im Land frei bewegen. Foto: NRC

Belal, 15, Schüler und darüber hinaus Manager des Cricket-Teams, ist für andere Kinder in seinem Alter ein Vorbild geworden. Belal hat die Grundschule abgeschlossen. Da es keine Möglichkeiten für eine höhere Schulbildung gab, ging er einfach in dieselbe Klasse, die er zuvor besucht hatte.

„Ich wünschte, es gäbe eine weiterführende Schule und wir könnten unsere Schulbildung fortsetzen, bevor es zu spät ist“, sagt er.

Trotz der begrenzten Möglichkeiten leitet Belal ein Cricket-Team. Er hat viel Zeit zum Trainieren, da es im Lager nicht viel anderes zu tun gibt. Er wünscht sich, in sein Heimatland zurückkehren zu können und eines Tages Nationalspieler zu werden.

„Ich weiß, wie schwer das Leben in diesem Flüchtlingslager ist, und ich weiß, dass es für jeden von uns schwer ist. Durch das Cricketspielen wollen wir einige der Schwierigkeiten gemeinsam überwinden“, sagt er optimistisch.

Obwohl Afghanistan 2005 der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und dem Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1967 beigetreten ist, gibt es immer noch keinen nationalen, rechtlichen Rahmen für die Reglung der Einreise von Asylsuchenden ins Land.

Schüler besuchen eine Unterrichtsstunde in einer Grundschule, die von NRC Flüchtlingshilfe im Gulan-Lager in der Provinz Khost geleitet wird. Foto: Jim Huylebroek/NRC

Darüber hinaus behauptet die afghanische Regierung als Ergebnis eines politischen Grenzstreits, dass die Bevölkerung Waziristans nie eine internationale Grenze überschritten habe und daher als Binnenvertriebene und nicht als Geflüchtete gelte.

„Trotz dieser Behauptung sind Geflüchtete aus Waziristan derzeit nicht in der Lage, ihre Rechte als Geflüchtete geltend zu machen und sie genießen auch nicht dieselben Rechte wie Binnenvertriebene, wie etwa das Recht, sich außerhalb von Khost frei zu bewegen, legal zu arbeiten, eine afghanische Schule zu besuchen, Land zu kaufen, und, die Wurzel allen Übels, das Recht, eine Tazkera, einen afghanischen Ausweis, zu erhalten“, erklärt Neal.

Für Rahmana, 13, hat die Bildung, die sie durch NRC Flüchtlingshilfe erhält, ihr Leben verändert.

Rahmana, 14, besucht die dritte Klasse und ist das einzige weibliche Mitglied ihrer Familie, das eine Ausbildung erhält. „Mein Bruder unterstützt mich dabei, obwohl meine Eltern mit dieser Entscheidung nicht ganz einverstanden waren“, sagt sie. Foto: Enayatullah Azad/NRC

„In den sozialen Umbrüchen der Zwangsvertreibung liegen Bedrängnis und Entbehrung, aber auch Chancen. In diesem Fall waren eher konservative Gemeinden aufgeschlossener gegenüber der Idee, auch ihren Töchtern eine Ausbildung zu ermöglichen“, erklärt Neal.

„Es liegt in der Verantwortung aller, diese Geflüchteten angemessen zu unterstützen und in ihr Wohl zu investieren. Alle internationalen NGOs und die Regierungen beider Länder müssen zusammenarbeiten, um die Situation der Geflüchteten im Gulan-Lager zu verbessern oder ihre freiwillige Rückkehr zu begünstigen“, schließt Neal.

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