Neue Treibstoffkrise verschärft das Leid der hungrigen Menschen im Jemen

Die Treibstoffknappheit im Jemen bedroht Tausende Menschenleben. Autofahrer stehen zwei bis drei Tage lang Schlange, um zu tanken, und die Auswirkungen sind im ganzen Land spürbar, da Lebensmittel, Wasser und andere wichtige Güter knapp sind. Wir fordern die jemenitische Regierung auf, die Importbeschränkungen für Treibstoff aufzuheben.

 

Kampf ums Überleben

Malayeen Haza’a, 40, lebte früher in einer Hafenstadt in Taiz, einem Gouvernement im Südwesten des Jemen. Sie, ihr Ehemann und ihre sechs Kinder hatten ein gutes, beständiges Leben. Seit der Krieg im Jahr 2015 eskaliert ist, kämpft sie ums Überleben.

„Als der Krieg eskalierte, gab es sehr schnell keinen Treibstoff mehr und die Preise stiegen dramatisch. Anfangs spürten wir die Auswirkungen noch nicht so sehr, da mein Mann als Elektroingenieur arbeitete und uns damit einen angenehmen Lebensstandard bieten konnte“, sagt sie.

Mit dem Fortschreiten des Krieges konnte Mahmoud, Malayeens Mann, jedoch mit seinem Einkommen kaum noch den wichtigsten täglichen Bedarf decken. Die Preise hatten sich mehr als verdoppelt.

 

Durch Luftangriff getötet

“Eines schrecklichen Tages im Juli 2015 traf ein Luftangriff die Stadt, in der wir lebten. Über 100 Menschen wurden getötet und viele weitere schwer verletzt“, erzählt Malayeen. „Mein Mann war einer derjenigen, die verletzt wurden.

Die Menschen flohen in sicherere Gouvernements und ich nahm meinen Mann mit nach Sana’a, um ihn dort behandeln zu lassen. Leider starb er nach acht Monaten des Leidens.“

Malayeen, 40, verlor ihren Ehemann durch die Verletzungen, die er bei einem Luftangriff im Jahr 2015 davontrug. Sie begann in Sana’a ein neues Leben, indem sie Gebäck, Samosas und Süßigkeiten verkaufte. Jetzt kämpft sie jedoch aufgrund des Treibstoffmangels ums Überleben. Foto: Nasser Abdulkareem/NRC

 

Ein neues Leben

Malayeen war bei ihrem Bruder untergekommen, aber nach dem Tod ihres Mannes entschied sie, im Stadtteil Bait Bous ein Haus zu mieten und ein neues Leben zu beginnen.

„Ein paar Nachbarn halfen mir mit gebrauchten Möbeln, aber es war schwierig für mich, bei den gestiegenen Preisen genug Lebensmittel zu kaufen, also musste ich arbeiten“, sagt Malayeen.

Sie lernte, wie man Gebäck, Samosas und Süßigkeiten machte. Sie kaufte einen Ofen, begann zu kochen und verkaufte das Essen an ihre Nachbarn, um den Grundbedarf ihrer Kinder decken zu können.

 

Kein Geld für Gas zum Kochen

„Mein Einkommen reichte kaum aus, um Lebensmittel und ein paar andere wichtige Dinge zu kaufen, aber es reichte gerade noch zum Überleben“, erklärt sie. „Aber seit der neuen Treibstoffkrise Ende September kann ich gar nicht mehr arbeiten. Es gibt kein Gas zum Kochen mehr zu kaufen und die Preise auf dem Schwarzmarkt kann ich mir nicht leisten.“

Unser Leben wird immer schlechter, ich kann es mir nicht leisten, zu arbeiten oder Lebensmittel zu kaufen.
Malayeen Haza’a, 40

 

„Die Preise für Mehl, Zucker und Speiseöl sind alle in den letzten paar Wochen gestiegen. Die Hauptursache dafür ist der Treibstoffmangel. Unser Leben wird immer schlechter, ich kann es mir nicht leisten, zu arbeiten oder Lebensmittel zu kaufen.“

Malayeen hatte früher Kunden in Stadtvierteln, die weit weg waren. Da der Treibstoff für den Transport dorthin zu teuer ist, hat sie diese Kunden nun verloren. Mittlerweile kann sie sich wegen der immens gestiegenen Preise weder das Gas zum Kochen noch den Diesel leisten.

 

Drei Tage Schlange stehen für Benzin

In Sana’a ist der Preis für Benzin für jemenitische Bürgerinnen und Bürger auf 800 YER (ca. 2,90 EUR) pro Liter im Vergleich zu 365 YER (1,30 EUR) auf dem offiziellen Markt und der Preis für Diesel auf 1.000 YER (3,60 EUR) pro Liter im Vergleich zu 375 YER (1,35 EUR) auf dem offiziellen Markt gestiegen.

Auf dem Schwarzmarkt sind die Preise noch höher, bei bis zu 20.000 YER/20 Liter, also fast das Dreifache des offiziellen Preises. Die Tankstellen sind entweder ganz geschlossen oder haben eingeschränkte Öffnungszeiten, wodurch sich mehrere Kilometer lange Schlangen und Wartezeiten von zwei bis drei Tagen bilden.

Menschen kaufen und verkaufen Treibstoff auf dem Schwarzmarkt in Sana’a, Jemen. Hier sind die Preise um fast das Dreifache des offiziellen Preises in die Höhe geschnellt. Foto: Ahmed Al-Lakmei/NRC

 

Die hohen Treibstoffpreise wirken sich schnell auch auf die Lebensmittelpreise aus. In der ersten Oktoberwoche 2019, als der Treibstoffmangel begann, stieg der Preis für Weizenmehl um 3 Prozent, Reis um ebenfalls 3 Prozent und der Preis für Pflanzenöl um 4 Prozent.

Die Auswirkungen dieses Anstiegs sind für die jemenitische Bevölkerung, die ohnehin schon unter dem langwierigen Konflikt leidet, deutlich spürbar. Laut Schätzungen der Vereinten Nationen werden 10 Millionen hungrige Jemenitinnen und Jemeniten, die ohnehin schon kurz vor einer Hungersnot stehen, bald nicht mehr in der Lage sein, auf den Märkten Lebensmittel zu kaufen.

 

Staatliche Beschränkungen führen zu Engpässen

Seit Mitte September 2019 herrscht im Nordjemen durch die neuen von der Regierung erlassenen Bestimmungen für kommerzielle Treibstoffimporte ein akuter Treibstoff- und Gasmangel.

Infolgedessen kommt es bei den Genehmigungen von Schiffen zum Abladen von Treibstoff und Gas am Rotmeerhafen Hodeidah zu Verzögerungen. Der Jemen importiert den größten Teil – rund 90 Prozent – der Lebensmittel, Treibstoffe und kommerziellen Güter, und diese Verzögerungen verschärfen die ohnehin schon verheerende humanitäre Lage noch weiter.

Die Folgen der Treibstoffkrise sind weitreichend und haben innerhalb von wenigen Wochen zu einer weiteren Verschlechterung der öffentlichen Dienstleistungen geführt.

Lange Autoschlangen mit stundenlangen Wartezeiten vor den Tankstellen in Sana’a, Jemen. Viele Tankstellen sind komplett geschlossen oder haben eingeschränkte Öffnungszeiten, wodurch kilometerlange Schlangen entstehen. Foto: Ahmed Al-Lakmei/NRC

 

Kürzungen bedrohen Tausende Menschenleben

Treibstoff wird nicht nur für den privaten Autoverkehr, sondern auch für Wasserpumpen und Krankenhausgeneratoren sowie für den Gütertransport im ganzen Land gebraucht. In einigen Regionen des Landes wurde die Wasserversorgung in den Ballungszentren für bis zu zwei Wochen unterbrochen. Die unzureichenden sanitären Einrichtungen und der Mangel an Trinkwasser erhöht die Gefahr von tödlichen Krankheiten wie die Cholera, die 2019 bereits fast 1.000 Todesopfer gefordert hat.

Die Auswirkungen sind für Hunderttausende Familien bereits spürbar. Die Menschen, die es bisher gerade noch schafften zu überleben, werden es noch schwerer haben, sofern nicht ein ausreichendes Maß an kommerziellen Importen – einschließlich Treibstoff – über alle Häfen eingeführt werden darf.

 

Treibstoffbeschränkungen müssen aufgehoben werden

NRC Flüchtlingshilfe ist äußerst besorgt über die Auswirkungen der Treibstoffkrise auf die jemenitische Zivilbevölkerung. Auch die humanitären Hilfsmaßnahmen sind vom Treibstoffmangel betroffen. Hilfsorganisationen werden daran gehindert, lebensrettende Hilfe zu leisten, die Unterstützung für unterernährte Kinder muss ausgesetzt und die Verteilung von Lebensmitteln und Wasser gekürzt werden.

Die schönen Tage sind vorüber und die Treibstoffkrise verursacht die Mutter allen Leidens.
Malayeen Haza’a, 40

Wir fordern die jemenitische Regierung auf, alle Beschränkungen bezüglich des Imports kommerzieller Treibstoffe aufzuheben.

Wir fordern auch die Aufhebung der Beschränkungen, die verhindern, dass Lebensmittel, Treibstoff und andere Hilfsgüter in alle Teile des Landes gelangen, um die humanitäre Lage zu mildern, einschließlich der Garantie, dass alle Häfen geöffnet und funktionsfähig bleiben. Ein anhaltender Treibstoffmangel würde inmitten der Katastrophe zu einer weiteren Katastrophe führen.

 

“Die Mutter allen Leidens“

Malayeen fasst zusammen: „Die schönen Tage sind vorüber und die Treibstoffkrise verursacht die Mutter allen Leidens. Ich hoffe, dass ich wieder nach Hause gehen und mein altes Leben weiterführen kann, wenn der Krieg vorbei ist.“

„Wir haben unseren Hauptverdiener verloren, aber wenn die Preise wieder auf ein normales Niveau wie vor dem Krieg fallen, dann können wir unser jetziges Leiden überwinden.“

 

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