Dieses Foto wurde im Jahr 2016 in einem Viertel in Tegucigalpa, Honduras, aufgenommen. Das Viertel wurde von einer kriminellen Bande kontrolliert, die den Kindern nicht erlaubte, zur Schule zu gehen. Foto: Europäische Union/ECHO/A. Aragon 2916

10 Dinge, die Sie über die Gewalt in Zentralamerika wissen sollten

David Garcia und Roald Høvring|Veröffentlicht 17. Okt. 2019|Bearbeitet 18. Okt. 2019
Kriege und Konflikte vertreiben weltweit Millionen – in Zentralamerika jedoch fliehen die Menschen vor Gewalt, Drohungen und organisiertem Verbrechen.

# 1 Organisiertes Verbrechen zwingt Menschen zur Flucht

Kriminelle Banden üben in den Städten Zentralamerikas, in denen die Armut grassiert, starke territoriale Kontrolle aus. In diesen Gebieten werden jeden Tag Morde gemeldet. In einigen Vierteln wird jeder kleine Geschäftsinhaber von den Banden erpresst. Mädchen und Jungen laufen Gefahr, rekrutiert zu werden, während Frauen von den Bandenmitglieder durch Einschüchterung und sexuelle Gewalt gefügig gemacht werden. Bedrohte Familien werden genötigt, ihre Häuser zu verlassen – ohne Hoffnung auf Rückkehr. Viele fliehen aus Angst.

# 2 Die Mordrate sinkt, aber die Gewalt bleibt

Obwohl die Mordrate nach wie vor hoch ist, ist der allgemeine Rückgang ein positives Zeichen. Im Jahr 2011 wurde Honduras „Mordhauptstadt der Welt“ genannt. In diesem Jahr lag die Mordrate bei 86,5 je 100.000 Einwohner. Seitdem ist die Rate bis zum Jahr 2017 auf 42 gefallen – niedriger als in El Salvador, wo sie bei 60 liegt. Laut eines Berichts von Small Arms Survey waren im Jahr 2016 unter den fünf Ländern mit den höchsten Sterberaten – Syrien, El Salvador, Venezuela, Honduras und Afghanistan – nur zwei Länder, in denen bewaffnete Konflikte herrschten.

Im Jahr 2016 verlor Elena ihren 18-jährigen Sohn. Eine kriminelle Bande im Viertel verlangte von ihm, für sie Drogen zu verkaufen. Als er sich weigerte, erschossen sie ihn. Elena und ihre Familie mussten fliehen. Hier ist sie mit ihrem Enkel zu sehen. Foto: Ana Karina Delgado Diaz/NRC

# 3 Der Alltag ist ein ständiger Kampf

Die vorherrschende Gewalt und die Kriminalität haben den humanitären Bedarf in Guatemala, Honduras und El Salvador, auch genannt Norddreieck Zentralamerikas, erheblich verstärkt. Fast 3 Millionen Menschen sind von humanitäre Hilfe abhängig, was nahezu 10 Prozent der gesamten Bevölkerung entspricht. Insgesamt 667.000 Menschen in diesen drei Ländern sind Binnenvertriebene.

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# 4 Verstecken oder Fliehen auf der Suche nach internationalem Schutz

Den betroffenen Menschen zufolge ist Binnenvertreibung oft der Beginn einer langen Reihe von Reisen, bei denen weder ein Ende noch eine Rückkehr abzusehen ist. Ohne angemessene Hilfe und Schutz in ihrem Heimatland sind diejenigen, die heute Binnenvertriebene sind, morgen Geflüchtete, Asylsuchende oder Migrierte. Aufgrund des großen Stroms von Menschen, die auf der Suche nach internationalem Schutz die Grenzen überqueren, haben die humanitären Krisen in Honduras, Guatemala und El Salvador regionale Ausmaße angenommen. Zwischen Januar und Juni 2017 stammten den Vereinten Nationen zufolge weltweit 8 von 100 Asylanträgen aus dem Norddreieck Zentralamerikas, obwohl diese nur 0,4 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Die jüngste Entscheidung der Trump-Regierung, die Zahl der aufzunehmenden Kontingentflüchtlinge von 45.000 auf 30.000 weiter zu reduzieren, wird direkte Folgen im Hinblick auf den Schutz Tausender Menschen aus dem Norddreieck Zentralamerikas haben.

«Centro de atencion al migrante returnado» (CAMR) («Hjelpesenteret for returnerte innvandrere»)
Jeden Tag landet am Flughafen außerhalb San Pedro Sulas, Honduras, ein Flugzeug aus Houston, Texas. An Bord befinden sich honduranische Passagiere, die alles riskiert haben, um in die USA zu gelangen, aber in ein Leben in Armut und Gewalt zurückgeschickt werden. Das Foto zeigt das Empfangszentrum am Flughafen, Centro de atencion al migrante returnado. Foto: Ana Karina Delgado Diaz/NRC

#5 Das Risiko tödlicher Reisen

Die räumliche Entfernung zwischen ihren Heimatländern und den Orten, wo internationaler Schutz gegeben ist, bedeutet für alle, die sich auf die Reise in die Sicherheit begeben, eine Reihe von Schwierigkeiten und extremen Risiken. Wo es keine anderen Transportmittel gibt, sind vertriebene Menschen häufig gezwungen, lange Strecken zu Fuß zu gehen, illegale Routen zu benutzen oder sich an Schmuggler zu wenden. Das wiederum leistet Menschenhandel, Erpressung, Zwangsarbeit, sexueller Gewalt und anderen Arten von Missbrauch Vorschub. Eine Frau erzählte NRC, sie sei auf ihrer Reise von Honduras in die USA gezwungen worden, zusammen mit vielen anderen in einen eiskalten Container auf einem LKW zu steigen. Dort musste sie sieben Stunden lang mit wenig Luft in derselben unbequemen Position ausharren.

#6 Leben von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag

Fast jeder Fünfte in Honduras, El Salvador und Guatemala lebt von weniger als 1,90 US-Dollar am Tag. Die meisten Binnenvertriebenen leben in Armut und sind ständig von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bedroht. Der Weltbank zufolge leben in Honduras und El Salvador nahezu 80 Prozent der unter 15-jährigen Bevölkerung in Armut.

Yoselyn, 15, aus Honduras wurde von erwachsenen Bandenmitgliedern nach einem Streit zwischen ihr und einer Klassenkameradin entführt. Foto: Ana Karina Delgado Diaz/NRC

#7 Ein gefährlicher Ort für Frauen und Mädchen

Das Norddreieck Zentralamerikas ist für Frauen eine der gefährlichsten Regionen. Sieben der zehn Länder mit den höchsten Mordraten der Welt befinden sich in Zentral- und Lateinamerika. Das Observatorium für Gewalt der Nationalen Autonomen Universität Honduras schätzt, dass mindestens alle 17 Stunden eine Frau ermordet wird. Mädchen erleben Drohungen, Einschüchterungen und sexuelle Gewalt durch die Bandenmitglieder, ebenso wie Drohungen gegen ihre Familienmitglieder, wenn sie sich nicht fügen. Die meisten dieser Fälle bleiben ungestraft.

#8 Schulen werden bedroht

Die kriminellen Banden haben es geschafft, den Kern von Bildungseinrichtungen zu infiltrieren und so Einfluss auf die Entscheidungen von Schulleitungen und Lehrkräften zu nehmen. Es ist gang und gäbe, dass Bandenmitglieder Drogen an Minderjährige verkaufen, Lehrkräfte und Schüler erpressen und Rekrutierungs-, Überwachungs- und Geheimdienstaktivitäten durchführen. Konkrete Drohungen durch kriminelle Banden haben dazu geführt, dass Schulen geschlossen und Unterricht abgebrochen wurde. Die Kinder müssen die Schule wechseln oder ihre Bildung ganz aufgeben. Zwischen Juni und Juli 2018 wurden in Honduras drei Angriffe auf Schulen gemeldet.

In einem der gefährlichsten Viertel Honduras gehen die Kinder aufgrund von Drohungen von kriminellen Banden nicht mehr zur Schule. Foto: Europäische Union/ECHO/A. Aragon 2916

#9 Wir sind nicht in der Lage, alle Vertriebenen zu schützen

Regierungen und humanitäre Hilfsorganisationen haben weder die Instrumente noch die Kapazitäten, den humanitären Bedarf und den Bedarf an Schutz zu decken. Trotz jüngster Fortschritte bei der Bekämpfung von Vertreibung gib es in keinem dieser Länder einen rechtlichen Rahmen oder eine öffentliche Ordnung, die sich speziell auf den Schutz und die Unterstützung der vertriebenen Bevölkerung konzentriert. Bisher sind nur sehr begrenzte Mechanismen vorhanden, um Schutz und Unterstützung zu gewährleisten.

#10 Die humanitäre Hilfe ist unterfinanziert

Viele Geber in der Region sind sich zwar der Situation bewusst, können aber keine Maßnahmen finanzieren, da Vertreibung nicht Teil ihrer regionalen Strategien ist. Das erschwert es den Hilfsorganisationen, die erforderlichen Mittel zu beschaffen, um den Bedarf der gewaltbetroffenen Frauen, Kindern und Jugendlichen zu decken. Die Finanzierung der humanitären Situation im Norddreieck Zentralamerikas sollte für die humanitären Geber oberste Priorität haben.

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